Andreas Dress "KONTINUUM" Radierungen 1973-2018

08.06.2018 — 28.07.2018

Andreas Dress
Andreas Dress (Jg. 1944) nimmt als Maler und Grafiker eine besondere Stellung in der deutschen Gegenwartskunst ein. Wie kein anderer hat er den „Taumel im Diesseits“ beschrieben und aus dem traditionellen Totentanz einen Lebenstanz entwickelt, hat er mit zahllosen Schichtungen und Überlagerungen die ikarischen Höhenflüge und apokalyptischen Abgründe des Menschlichen bildnerisch verwandelt. Er ist ein Künstler, der alle Möglichkeiten bildnerischen Ausdrucks für sich experimentell auslotete. Er beschäftigte sich mit Holzschnitt, Radierung, Lithografie, Serigrafie, drehte 8mm Zeichen-Filme, bemalte Friese, beschäftigte sich mit dem Künstlerbuch, dass auch raumgreifende Dimensionen anzunehmen vermag. In einem Ausstellungszyklus widmet sich die Galerie Mitte dem druckgrafischen Werk: 2016 wurden seine frühen Holz- und Linolschnitte, einem experimentellen „Intermezzo“ seines Schaffens gezeigt, 2017 folgte eine Ausstellung mit einer Auswahl von Arbeiten des lithografischen Werkes, unter dem Titel „Steinzeit“. 2018 stehen nun Radierungen unter dem Thema: KONTINUUM, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. 2009 beschrieb Andreas Dress selbst in einem Textbeitrag über diese Technik, die ihn seit Studienzeiten nicht mehr los lässt:

Das Abenteuer, die Überraschung beim Druck der Platte, nachdem sie die Torturen des Säurebades oder das Traktieren mit Radiernadeln, Mouletten, Sticheln oder anderen Werkzeugen, die Vertiefungen in Zink- und Kupferplatten erzeugen, überstanden hat, sind äußerst anspornend. Ergebnisse, die in ihrer Wirkung kaum mit dem Pinsel o.ä. auf der Leinwand erreicht werden können. Und dennoch strahlt diese Technik auch auf die Bildfindung in der Malerei aus, auch hier Ordnung in die Unordnung zu schaffen. Die erzeugten Vertiefungen in den Platten nehmen die Farben auf und geben sie unter hohem Druck in der Kupferdruckpresse unterm Filz an das feuchte Papier ab. Jede Farbe braucht gewöhnlich eine Platte, die mit sorgfältiger Passung im Nacheinander und Übereinander mit den anderen Platten aufs Papier gedruckt wird. Um großen Farbreichtum mit möglichst geringem Aufwand zu erzeugen, können die Farben so gewählt werden, dass durch das teilweise Übereinanderdrucken neue Farben und Nuancen entstehen... Ein farbiger Entwurf ist generell hilfreich – man kann sich aber auch in den Strudel der Improvisationen und der spontanen Arbeit stürzen, den Bildträger mit mannigfaltigen Farbspuren und -feldern überziehen und dann zum Schluss mit ein bis zwei Platten für Farbe und Form das Ganze ordnen. Das ist allerdings am aufwendigsten, aber auch äußerst reizvoll und überraschend, weil kaum vorhersehbar, neue Bildideen hervorrufend … von heiterer Zuversicht bis düsterer Vergänglichkeit.“

Besser hätte man das aufwendige, überraschende, kreative Prozedere der Entstehung einer Radierung nicht beschrieben können. Das Wort „KONTINUUM“, so der Titel der Ausstellung, die 49 Arbeiten aus den Jahren 1973-2018 in einer Auswahl zusammenfasst, bedeutet allgemein, dass es sich um etwas ununterbrochen oder lückenlos Zusammenhängendes handelt. Ein guter Titel für einen Bereich des 45 jährigen Schaffens von Andreas Dress, der durchgängig eine besondere Rolle gespielt hat. Fast zehn Jahre hat er sich ausschließlich der Technik bedient und ist damit als Ausnahmetalent auch bekannt geworden.

Zwei großformatige Triptychen dominieren die Hängung – ein Triptychon zur griechischen Mythologie, das durch seine prachtvolle Farbgestaltung von Blau und Ziegelrot die Blicke auf sich zieht. Die Arbeiten entstanden anläßlich einer Ausschreibung der Sächsischen Galerie in Chemnitz, das Goldene Vlies betreffend. Die Argonautensage handelt von der Fahrt des Jason und seiner heldischen Begleiter nach Kolchis im Kaukasus am Schwarzen Meer und der Suche nach dem Goldenen Vlies und dessen Raub. Die Reisegefährten werden nach ihrem sagenhaft schnellen Schiff, der Argo, die Argonauten genannt. Medea, die Königstochter, die sich in Jason verliebt, hilft ihm mit einer List das Goldene Vlies zu rauben und flieht mit ihm.

Zum anderen sind drei Radierungen aus der Serie zu Oscar Wildes berühmten und einzigen Roman „Das Bildnis des Dorian Gray“. Die erste Fassung erschien 1890. Der seinerzeit als anrüchig geltende Roman war übrigens Gegenstand eines Unzuchtprozesses gegen Wilde. Die Hauptfigur, der reiche und schöne Dorian Gray, besitzt ein Porträt, das statt seiner altert und in das sich die Spuren seiner Sünden einschreiben. Während Gray immer maßloser und grausamer wird, bleibt sein Äußeres dennoch jung und makellos schön. Themen sind die Moralität von Sinnlichkeit und Hedonismus, d.h. Einzig nach Lust und Freude strebend, und die Dekadenz der englischen Oberschicht. Eingebettet in Textfragmente agieren die expressiv deformierten Figurationen, die die diabolische, dekadente Verwerflichkeit in „Verdichtung und Wirrsal“ beschreiben. Ein gutes Raum- und Flächengefühl, eine faszinierende Beobachtungsgabe, eine sichere Linienführung kennzeichnen seine Bildsprache. Worte spielten immer eine große  Rolle auf den Arbeiten oder als Bildtitel. Andreas Dress spielt nicht mit der Form und dem Wort, um des Spielens willen, auch nicht, um den Betrachter hinter's Licht zu führen, sondern eher um dessen Verstand und Intuition zu erhellen.  Zwischen Schwarz und Weiß gibt es viele Schattierungen. Das ist auch auf den Radierungen  erkennbar. Die schwarze Magie des Druckens zieht sich durch sein Gesamtwerk. Dress  ist ein Spezialist und schreckt vor keiner noch so aufwendigen Kombinationstechnik zurück. Das ist ein Aufwand, dem sich heute kaum ein Grafiker kaum mehr hingeben möchte. Andreas Dress rang immer wieder um Klarheit im Experiment: Weltenanfang und Weltenende. Lebenslust und Melancholie, Einsamkeit und Harmonie, Abstammung und Zukunft gehen ineinander über im Bildkosmos von Andreas Dress, im Spiel der Kräfte, in deren Ausgewogenheit das Geheimnis der Schöpfung liegt. Dem vermeintlichen Chaos gab er bereits früh eine innere Ordnung, der Gesetzmäßigkeiten zugrunde liegen, die auf Lebensrhythmen basieren.

Gunhild Brandler beschrieb in einem Katalog das Sichtbare Folgendermaßen: „ Nach wie vor: kantig geschnittenes, sich verhakendes, fliehendes und suchendes Expressives und turbulent Szenisches. Die Körper gespalten in gefährliche Schwanz-Hieroglyphen und zentnerschwere Mutterbrüste, in grapschende Hände und wollüstig verschlingende Münder. Wie Nahrungsstücke zerlegt, wie von Zufalls-Operationen zerstückelt und explosiv versprengt als wäre die Welt ein riesenhafter Granattrichter. Im aufgerissenen Raum sind die behütenden Grenzen immer nur die eigene Kontur. Und selbst diese ist durchdrungen von Welt. Eine Möglichkeit von Vielfalt, aber keine der Identität...Kein Horizont für Ankommen, sondern ein Strudel, ein Implodieren in der Extase.“

Mir liegt es fern, mich heute in ausschweifender Wortakrobatik zu verlieren. Die Arbeiten verdienen es, gesehen, nicht gehört zu werden.

Die Ausstellung begleitet eine kleine Edition „Weiberfastnacht“ von 10 Exemplaren, die Sie bereits heute nach Hause tragen können.

Karin Weber

7. Juni 2018

 

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