DresdenContemporaryArt, Netzwerk Medien Kunst, das Medienkulturzentrum Dresden und das C.Rockefeller Center Dresden veranstalteten einen Open Call zur Einreichung von künstlerischen, filmischen Beiträgen zum Thema CAPTURING NOWNESS. Es ist Teil der Zusammenarbeit mit dem MoCA Taipeh. Das dabei entstandene Videoprogramm wird vom 21.9.-22.10.24 auf einer LED-Video-Wall auf dem Dach des Reaktanzenhauses des Kraftwerk Mitte Dresden gezeigt.
Der ewige Augenblick, das „Hier und Jetzt“, ist ein zentrales Konzept, das in vielen spirituellen und philosophischen Traditionen präsent ist. Im Taoismus wird diese Idee durch das Prinzip des Wu Wei zutiefst reflektiert. Wu Wei bedeutet „Nicht-Handeln“ oder, genauer gesagt, „Handeln im Einklang mit dem natürlichen Fluss der Dinge“. Es beschreibt einen Zustand, in dem man sich mühelos durch das Leben bewegt, in Harmonie mit der Natur, anstatt gegen sie anzukämpfen.
Das Konzept des immerwährenden Augenblicks findet seine Entsprechung in der Vorstellung des Taoismus, dass das Leben nur in der Gegenwart vollständig erlebt und verstanden werden kann. Die Vergangenheit ist bereits vergangen, die Zukunft ist noch nicht eingetroffen – alles, was real und greifbar ist, ist das Jetzt. Durch Wu Wei wird dieser Moment jedoch weder erzwungen noch kontrolliert, sondern man lässt ihn sich ganz natürlich entfalten. Im Zustand des Wu Wei handelt man, ohne auf die Zukunft zu projizieren oder von der Vergangenheit belastet zu sein – man handelt natürlich, spontan und in voller Übereinstimmung mit dem, was in der Gegenwart geschieht.
Der offene Aufruf für künstlerische Filme „CAPTURING NOWNESS“ lud Filmemacher ein, diesen subtilen und doch tiefgreifenden Zustand filmisch zu erkunden. Es geht darum, wie wir den gegenwärtigen Moment erleben, indem wir uns dem Fluss des Lebens hingeben, anstatt uns von äußeren oder inneren Zwängen leiten zu lassen. Die Herausforderung besteht darin, das Ungreifbare – das „Jetzt“ – einzufangen und es durch Bilder und Geschichten zum Leben zu erwecken. Die Filmemacher waren aufgerufen, diese Essenz der Zeitlosigkeit zum Ausdruck zu bringen, indem sie die Beziehung zwischen den Menschen und dem Augenblick im Geiste von Wu Wei darstellen: die Handlung, die ohne Streben geschieht, und das Leben, das sich im Jetzt verwirklicht.
Aus den über 50 Einsendungen, die wir von Dresdner Filmemachern und zeitgenössischen Künstlern erhalten haben, wählte die Jury 10 Werke aus, die die aktuelle Produktion unabhängiger Autoren repräsentieren und mit dem Thema CAPTURING NOWNESS in Verbindung stehen, um einem Publikum im öffentlichen Raum in Dresden und Taiwan gezeigt zu werden. Ergänzt wird diese Auswahl von einem kuratierten Videoprogramm des Museum of Contemporary Art Taipeh, das das Thema CAPTURING NOWNESS auf ganz eigene Weise interpretiert, mehr dazu im unten folgenden Statement des Kurators Wang Ding-Yeh.
Die in der Vorführung präsentierten Künstler sind:
Alba T Álvarez, Sabrina Bellenzier & Guenda Bondini, Tatjana Bikic, Moritz Simon Geist und Robert Arnold, Ibrahim Quraishi, Lucas Oertel & Heinz Schmoeller, Elom 20ce & Musquiqui Chihying & Gregor Kasper, Caroline Beach, Felix Ermacora & Johanna Blank, Julius Günzel & Maja Nagel, Wang Yahui, Yuan Goang-Ming, Chen I-Chun, Hsu Che-Yu und Chen Ching-Yuan
Organisation und Jury DresdenContemporaryArt e.V: Thomas Dumke, Ya Wen Fu, Andreas Ullrich
Kuration MoCA Taipeh: Wang Ding-Yeh
Kuratorisches Statement von Wang Ding-Yeh zur Auswahl der taiwanesischen Beiträge:
Die Existenz der Überlebenden
„Unser Überleben ist in diesem Moment reine Glückssache“.
Am 3. April 2024 wurde Hualien in Taiwan von einem schweren Erdbeben heimgesucht. Nach einem Erdbeben im August hat Japan eine Warnung vor einem Mega-Beben im Nankai-Trog ausgegeben. Der seit über zwei Jahren andauernde Krieg zwischen der Ukraine und Russland, der jüngste Krieg im Gazastreifen und sogar Explosionen, die wie Atompilze aussehen und durch Brände in Chemieanlagen ausgelöst werden. Naturkatastrophen und vom Menschen verursachte Unglücke ereignen sich immer wieder und stellen Realitäten dar, die sich unserer Kontrolle entziehen. „Existenz“ kann als ein Überlebender im gegenwärtigen Moment verstanden werden. Niemand kann vorhersagen, was in der nächsten Sekunde passieren wird. Die Unfähigkeit, die Realität zu kontrollieren, zeigt, wie herausfordernd und zerbrechlich unsere Existenz ist, und diese Zerbrechlichkeit kann sogar als eine Form von Glück im Leben betrachtet werden. Als Überlebende haben wir uns jedoch noch nicht mit der Unausweichlichkeit des Todes auseinandergesetzt. Wenn wir den Tod als ein wichtiges Ereignis im Leben betrachten, dann müssen wir danach streben, unsere eigene einzigartige Lebensreise vollständig zu erleben.
In Wang Ya-Huis Arbeit Visitor durchquert die schwebende weiße Wolke den Raum und lässt uns darüber nachdenken, ob wir wie diese Wolke sind, die mit Leichtigkeit kommt und geht. Yuan Goang-Mings EVERYDAY MANEUVER dokumentiert Taiwans Luftschutzübungen von 1978 bis heute und verdeutlicht die geopolitischen Bedenken der Insel durch die trostlose Stadtlandschaft. Chen I-Chuns Under Surveillance basiert auf dem Kriegsgefangenenlager des Zweiten Weltkriegs in Jinguashi, New Taipei City, und regt zum Nachdenken über die Bedeutung des Krieges und die Menschenrechtsfragen an, mit denen die Gefangenen in dieser Zeit konfrontiert waren. Hsu Che-Yu’s Werk Microphone Test: A Letter to Huang Guo-Jun (Ein Brief an Huang Guo-Jun) wurde aus den Aufsätzen entwickelt, die der Schriftsteller Huang Guo-Jun vor seinem Selbstmord geschrieben hat. Die Erzählung im Video ist eine Rekonstruktion der Erinnerung und ein Überdenken der Bedeutung des Todes. In Chen Ching-Yuans (Flare-s) steht die Signalfackel, die als Notsignal oder festliches Feuerwerk verwendet wird, für die seit langem bestehenden Dilemmata und Widersprüche in Taiwan.
Diese alltäglichen Realitäten, die wir erleben, stellen die tiefsten Verbindungen und Überschneidungen in unserem Leben dar. Niemand kann sich ihnen einfach entziehen, nur weil wir noch am Leben sind.
Die Umsetzung wird unterstützt von der Kulturabteilung der Taipeh Vertretung in Berlin.