Magische Maschinen? Verbindungen von KI und Magie in der Kunst

Ausgabe 3/2022

Magische Maschinen? Verbindungen von KI und Magie in der Kunst
Agniezska Polska, The Demon’s Brain, Mehr-Kanal-Videoinstallation, 2018, Maße variabel, Ausstellungsansicht Hamburger Bahnhof: Museum für Gegenwart Berlin Quelle: Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie/Thomas Bruns

von Michael Klipphahn*

Systeme künstlicher Intelligenz (KI) – also Automatisierungen vermeintlich ‚intelligenten‘ Verhaltens – sind im Begriff, sämtliche Gesellschaftsbereiche zu formen. Ein Großteil der mit dieser künstlichen Nachbildung menschlicher Entscheidungsstrukturen zusammenhängenden Entwicklung und der Forschung rund um KI wird durch Technikkonzerne und im akademischen Bereich durch die Naturwissenschaften vorangetrieben. Die technischen Entwicklungen betreffen aber nicht nur die Transformation von Materie und Energie, sondern auch die Veränderungen von Information und Wissen, von Bewusstsein und Emotionen. Daraus lässt sich die Notwendigkeit ableiten, durch KI vermittelte gesellschaftliche Umbrüche auch kulturell, sozial, medial, politisch, historisch, teils auch ethisch und in Bezug auf Religionen rückzubinden und KI dahingehend als Phänomen zu reflektieren.

Auch Künstler*innen und Ausstellungsinstitutionen haben begonnen, das Potenzial von KI als kreatives Instrument, als nichtmenschlicher Kollaborateur, als disruptive Technik – im Sinne einer radikalen Innovation, die bestehende Techniken abzulösen imstande ist – und als Objekt, das zu systematischer Kritik und Reibung anregt, zu erforschen. Sie widmen sich mit ihrem mannigfaltigen Pool von Ausdrucksformen vielmals der Kritik, Formen der systematischen Umwidmung der Techniken, der Diversifizierung und Prüfung von oder einer gänzlich individualisierten Sicht auf KI. Parallel wird die Menschengemachtheit des Bildes durch KI-Anwendungen in Frage gestellt und es erodieren Kategorien, die für das Künstlerische besonders prominent sind: Autor*innenschaft, Kreativität und Originalität.

Grundlegend ist ein Verständnis von KI für diverse Nutzer*innen meist nur schwer möglich, da die inhärenten Abläufe umfassende technische Kenntnisse verlangen oder sich innerhalb sogenannter Blackboxes abspielen. Weil sich also Funktionsweisen von KI der Mehrheitsgesellschaft nicht erschließen oder sich mitunter sogar außerhalb des Rahmens des derzeitigen wissenschaftlichen Standes bewegen, beispielweise bei maschinellen Lernverfahren, die mit tiefen künstlichen neuronalen Netzen operieren, wird KI in öffentlichen Debatten oft als ‚magisch‘ beschrieben.

Natürlich ist Technik keine Magie, weder übersinnlich noch okkult. Vielmehr meint die Konnotation ‚magisch’ im Zusammenhang mit KI nicht nur das Unverständnis gegenüber der Technik, sondern auch die Verschleierung eines Gefahrenpotentials, das durch die Ausbeutung von Daten möglich wird. Denn mit der erhöhten Zugänglichkeit von Datenpools gehen maschinelle Verarbeitungsprozesse einher, die scheinbar ‚wie von Zauberhand‘, also ohne eine zugängliche kausallogische Begründbarkeit geschehen und deshalb ohne eine Zuordnung von Verantwortung auskommen. Die Assoziation ‚magisch‘ ist ebenfalls nicht unproblematisch, denn sie verschleiert das Potential, das hinter diesem Wort steckt. Denn es ist möglich, ‚mehr‘ im Magischen zu sehen als eine bloße Augenwischerei oder gar Abwertung. Denn Magie meint auch kultur- und epochenübergreifende Praktiken, ist eng mit Ritualen anderen Glaubens verstrickt und definiert Formen nicht-westlicher Wissensproduktion näher.

Darauf aufbauend zieht der Vortrag Verbindungslinien, indem er künstlerische Positionen untersucht, die KI und Magie zusammendenken. Untersucht werden Werke der Kunst der Gegenwart sowie historische Referenzbeispiele. Die ausgesuchten künstlerischen Arbeiten behandeln das Thema KI als Narrativ, künstlerische Strategie sowie als technisches Element und Material künstlerischer Arbeit, vermitteln gegenwärtige Technikdiskurse und machen sich dabei einen neuen, offeneren Magiebegriff zunutze. Dabei greifen im ersten Moment sehr disparate, doch eng mit jeweils Magie oder KI verstrickte Themen ineinander, beispielsweise Dämonie und Datenökonomie, Hexerei und Robotik sowie alternative Bewusstseinszustände und die Modellierbarkeit von Wissen.

Gleichzeitig ist diesen Werken gemein, dass sie magisch konnotierte Symbole, Bilder oder Darstellungen technischer Verfahrensweisen verwenden, um Kritik an Modellen westlicher Gesellschaften zu üben: Kritisiert werden kapitalistische Wirtschaftsstrukturen, das zerrüttete Verhältnis von technisierter Menschheit, Naturen und Ökologieauffassungen sowie die durch Digitalisierung betonte Marginalität bestimmter sozialer Gruppen, von Geschlecht und Gender.

Dabei ist es bemerkenswert, dass einige Künstler*innen in ihren Werken, die Magie und KI als Schwerpunkte behandeln, Visualisierungen des Magischen oftmals mittels KI-Technik realisieren und umgekehrt die Verfahrensweisen von KI mittels magischen Bildpraktiken darstellen. Indessen können auch in der Kunst- und Kulturgeschichte beider Diskurse Überschneidungen herausgearbeitet werden, die für eine Historisierung des Themas KI und eine Vergegenwärtigung des Themas Magie produktiv gemacht werden können.

Generell sind Magie und KI viel debattierte und auch umstrittene Begriffe und Konzepte, die derzeit sehr unterschiedliche Neubewertungen erfahren: Das Magische wird eher hinsichtlich des widerständigen Potentials ins Auge gefasst und nicht mehr als Geste von Ausgrenzungs- und Identitätsbildungsprozessen im Kontext abendländischer Religionsrezeption beschrieben. KI wiederum erfährt eine diametral liegende Betrachtungsweise und wird derzeit wesentlich prüfender reflektiert, als es in der Geschichte der bisherigen Begriffsdetermination der Fall war.

* Michael Klipphahn promoviert derzeit in Kunstgeschichte an der TU Dresden zu Verschränkungen von KI und Magie in der Kunst der Gegenwart. Seine wissenschaftliche Arbeit wird von Professorin Kerstin Schankweiler betreut, außerdem ist er Kollegiat des Schaufler Lab@TU Dresden. In diesem Kolleg kooperieren Forschende aus den Geistes- und Sozialwissenschaften mit Kunstschaffenden und Forschenden aus den MINT-Fächern zum Thema Künstliche Intelligenz. Im Herbst erscheint der u. a. von ihm herausgegebene Sammelband „Queere KI. Zum Coming-out smarter Maschinen“.

Er wird im Rahmen der Eröffnung der Ausstellung MAGIC MACHINES am 30. Juni 2022 um 19.00 Uhr einen Vortrag zu KI und Magie in den Technischen Sammlungen Dresden halten.