AHMET ÖGÜT und „Bakunins Barrikade“ in Dresden

Ausgabe 1/2019

AHMET ÖGÜT und „Bakunins Barrikade“ in Dresden
AHMET ÖGÜT BAKUNINS BARRIKADE Kunstverein Dresden e.V., Robert Gommlich

Ein Pamphlet aus Anlass der gleichnamigen Ausstellung im Kunstverein Dresden

Die Legende vom Kunstbanausen Michail Alexandrowitsch Bakunin (1814-1876), dem Vater des Anarchismus und „Oberfeuerwerker“(*1) des Dresdner Maiaufstandes 1849, ist eine konstruktive Legende. Konstruktiv einerseits, weil sie Ahmet Ögüt zur wiederholten Konstruktion einer Barrikade veranlasst hat und andererseits, weil sie immer noch zu revolutionstheoretischen und zivilisationskritischen Konstruktionen taugt. In die Welt gesetzt, zumindest schriftlich, hat diese Legende oder Anekdote, soviel ist aus heutiger Sicht klar, Bakunins Freund und Bewunderer Alexander Herzen (1812-1870). In seinen Lebenserinnerungen proklamiert Herzen, Bakunin habe den wenig kampferprobten Dresdner „Professoren, Musikern und Pharmazeuten“ den Rat gegeben, „die „Madonna“ von Raffael und die Bilder von Murillo auf die Stadtmauern zu stellen und sich mit ihnen vor den Preußen zu schützen, die zu klassisch gebildet seien, um es zu wagen auf Raffael zu schießen.“(*2)

Eine andere Quelle für diesen geradezu mephistophelischen Rat scheint es nicht zu geben. Trotzdem wird die Begebenheit gerne als wahr kolportiert, zumal sie im damaligen Kontext sehr gut in das Bild des zerstörerischen Fremdlings Bakunin passt, der die beschauliche Kunststadt in Chaos gestürzt und sogar berühmte Schöngeister wie Gottfried Semper und Richard Wagner zu Revolutionären gemacht habe. Verbrieft ist in der Tat, dass sich Bakunin, nach früheren Ausweisungen, Anfang 1849 heimlich in der Friedrichstadt niederlässt, in Laufweite zum Domizil Richard Wagners. Bakunin will sich keineswegs an die Spitze eines dortigen Umsturzes zu stellen. Vielmehr sucht er die Nähe zu Prag und zu Polen, wo die nationalen Bewegungen gegen die österreichische und zaristische Imperialherrschaft, als deren Stratege er sich verstand, schon sehr weit gediehen waren. In Dresden trifft Bakunin auf den Journalisten Ludwig Wittig, der gerade die Tageszeitung „Dresdner Nachrichten“ mitbegründet hat (*3). Inkognito schreibt Bakunin eine Reihe von kämpferischen Artikeln für das Blatt, die sich überwiegend mit der slawischen Frage in Europa befassen. Er infiziert Wittig und damit den Tenor des Blattes zunehmend mit seiner radikalen Haltung. Vermittels dieses publizistischen Sprachrohrs mischt Bakunin die bürgerliche Behäbigkeit der Stadt auf. Am 15. April 1849 erscheint in dieser „(einer der) gefährlichsten Zeitung Deutschlands“(*4) sein Beitrag „Weiß-Blau-Roth“(*5), in dem er die Heuchelei der (preußischen) Monarchie im Gefolge der Märzrevolution von 1848 anprangert: „Friedrich Wilhelm jagt die Nationalversammlung auseinander, oktroyiert eine Verfassung und ein Wahlgesetz, das ihm die Leute nach seinem Willen in die Kammern bringen soll…“(*6)

Die geradezu absolutistische Missachtung der neuen Verfassung bringt schließlich auch viele Dresdner auf die Barrikaden. Jedoch kein Gemälde. Könnte es aber nicht sein, dass die monarchistischen Freunde der alten Ordnung, also die Feinde Bakunins, das bewusste Gerücht über den rücksichtslosen Russen im Meißner Porzellanladen in die Welt gesetzt haben? Denn für Bakunin ist nichts heilig, schon gar nicht das Privateigentum, er will „die drückende Übermacht des Kapitals (zu) brechen und das Recht der Arbeit zur Geltung bringen.“(*7)

Gegen Kunst, glaubt man seinem Freund Richard Wagner, hat er grundsätzlich nichts – im Gegenteil: Nach einer Aufführung von Beethovens 9. Sinfonie ruft er dem Kapellmeister Wagner zu: „dass, wenn alle Musik bei dem erwarteten großen Weltenbrande verlorengehen sollte, wir für die Erhaltung dieser Symphonie mit Gefahr unseres Lebens einzustehen uns verbinden wollten.“(*8) Das klingt zart und kultiviert. Doch formt sich gerade in Dresden Bakunins sozusagen stilprägendes Bekenntnis zum Anarchismus: Auf dem Weg zur politischen Weltherrschaft kann auch Kunst nur ein Kollateralschaden sein. Komme dieser totale Aufstand einmal, so schreibt er, so werde „aus der Revolution eine neue Religion, aus der deutschen Geduld ein entsetzlicher Fanatismus, aus dem betrogenen Unwillen der Betrogenen eine Raserei werden…Und Schutthaufen, Asche und Einöden, Blut und Tränen, Armut und Verwilderung – das müssen die Folgen sein. Ihr rühmt doch immer die hochgestiegene Zivilisation in Mitteleuropa, ihr haltet derlei Greuel in unserem Zeitalter für unmöglich;…“(*9) Abgesehen davon, dass Bakunin hier die blutige erste Hälfte des 20. Jahrhunderts prophezeit, ist an seiner Haltung nicht ablesbar, dass er irgendeiner beteiligten Partei die nötige Kultiviertheit zutraut, vor Gemälden auf einer Barrikade haltzumachen. Auch insofern klingt die bewusste Legende wie eine Projektion – nicht nur seiner Feinde, sondern auch jener Freunde, die die ganze Brisanz von Bakunins Denken nicht begriffen haben. Was bleibt, ist ein starkes Bild; nämlich das von Raffaels und Murillos Madonnen auf der Barrikade.

Dieses Bild hat sich in Ahmet Ögüts „Bakunins Barrikade“ längst verselbständigt – mit Werken von Oskar Kokoschka, El Lissitzky, Pablo Picasso, Fernand Leger und anderen aus den Sammlungen jener Museen, in denen Ögüt die Barrikade bislang errichtet hat. Aktuell ist die Barrikade mit Werken aus Dresdner Privatsammlungen bestückt. Auch hier erfahren wir nicht, auf wessen Seite genau die Bilder kämpfen. Auf wessen Seite würde die Kunst bei einer Erhebung stehen? Auf der des Establishments, das mit diesem Schutzschild auch seine kulturellen Pfründe wahren möchte? Auf der Seite der Rechtlosen, die sich damit zu sozialer Gerechtigkeit und Gleichheit bekennen? Oder geht es ganz universell darum, die Kantische Zweckfreiheit von Kunst einem humanistischen Zweck zuzuführen? Auf welcher Seite dieser so fiktiven wie musealisiert existierenden Barrikade würden wir stehen? Sollte eine Institution Ahmet Ögüts Barrikade erwerben, so existiert eine klare und rechtlich bindende Anweisung des Künstlers: „Der Erwerber stimmt zu, die Barrikade an dritte Parteien zu verleihen, um sie als Barrikade zu nutzen für den Fall, dass diese Parteien diese Leihgabe anfordern im Zusammenhang mit extremen wirtschaftlichen, sozialen, politischen, transformatorischen Bewegungen und Bewegungen, die ein hohes Maß an öffentlicher Sorge um grundsätzliche Menschenrechte hervorrufen, eingeschlossen jene, die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte definiert sind…Der Erwerber stimmt zu, mit dritten Parteien über die Einbeziehung von Kunstwerken als Teil der Barrikade zu verhandeln.“(*10)

© bei der Autorin Susanne Altmann (Kuratorin der Ausstellung), 2018

Nachdruck: Dieser Text erschien erstmals als Flugblatt anlässlich der Ausstellung von Ahmet Ögüt „Bakunins Barrikade“ im Kunstverein Dresden vom 20.10.2018 bis 20.01.2019

Veranstaltungshinweis Finissage: Am 19.01.2019 um 19 Uhr findet ein Künstlergespräch zwischen Ahmet Ögüt und Michail Alexandrowitsch Bakunin statt sowie eine Präsentation von Ögüts neuen Videoarbeiten. www.kunstvereindresden.de

1) Richard Wagner, „Mein Leben. Zweiter Teil 1842-1850“, erstmals ersch. Basel 1870-1880, München 1963, S.398

2) Alexander Herzen , Mein Leben: Memoiren und Reflexionen, Band 3, 1855, Berlin 1962, o.S.

3) Dies ist dem Band „Michail Bakunin. Barrikadenwetter und Revolutionshimmel. Artikel in der Dresdner Zeitung“

und besonders der Einleitung von Boris Nikolajevskij von 1931 (Berlin 1995) zu entnehmen.