Lisa Pahlke - Drawings
20.05.2023 — 08.07.2023
Die für ihre großformatigen Tuschezeichnungen bekannte Künstlerin Lisa Pahlke befasst sich in ihrer neuen Folge mit Motiven der Zersplitterung. Ihre gleitenden, dicht aneinander gereihten Lineaturen sperrt sie in eckige Formgebilde, zerschneidet und verkantet sie. Geschmeidige, bislang frei fließende Linien stoßen jetzt auf Geometrien, die Gebilde sind zerklüftet. Weiche Bewegung trifft auf Festes, Schwingendes auf Härte, Gebogenes auf Gerades: Kontraste werden miteinander kombiniert.
Generell ist das Zusammenführen von Gegensätzen charakteristisch für Lisa Pahlkes Werk. Ihre Arbeiten bewegen sich in dem ambivalenten Feld zwischen Zeichnung und skulpturalem Objekt, zwischen Abstraktion und Konkretion. Diese Offenheit lässt einen hohen Grad interpretatorischer Freiheit zu. Sehen wir abstrakte Linien oder Stoff-Imitationen? Haben wir Landschaften vor uns oder Bewegungen? Sind es Scherben oder Geometrien? Lisa Pahlke meidet finale Klarheiten. Ihre Werke sind eher fragende, suchende Erkundungen als Behauptungen. Sie entstehen in einem Zwiegespräch zwischen Zeichnerin und Zeichnung. In diesem dialogischen Miteinander wird vieles verhandelt, was außerhalb der beiden geschieht. Pahlke reagiert auf Formen und Themen, auf Gedanken und Fragen, die sie–vorsichtig tastend–in den Schaffensprozess einfließen lässt. Dies können Theatererlebnisse genauso sein wie Alltagserlebnisse, Nachrichten oder Werke anderer Künstlerinnen und Künstler. So hat sich Lisa Pahlke zuletzt ausgiebig mit Polygonen befasst, seit sie zusammen mit ihrem Künstlerkollegen Matthias Lehmann 2021 erstmalig raumgreifende, skulpturale Gemeinschaftsarbeiten aus Papier schuf. Auch diese, bis heute anhaltende Kooperation hinterlässt hier Spuren.
Darüber hinaus bleibt Lisa Pahlke nicht unberührt von den Zumutungen unserer Zeit. Wie ein Seismograf nimmt sie die Schwingungen unserer Gegenwart auf, ohne auf spezifische aktuelle Geschehnisse verweisen zu müssen. Es reicht, dass Zerborstenes und Fragmentiertes den Bildeindruck ihrer neuen Werkgruppe bestimmen. Bei aller feinfühligen zeichnerischen Umsetzung führt sie die Idee der Dekonstruktion in aller Drastik vor. Wie Lucio Fontana schreckt sie nicht vor Schnitten und Schlitzungen zurück. Diese setzten das Papier in Bewegung, das sich–wie unter Schmerzen–krümmt und einrollt.
Deckchen weisen Brandspuren auf, Glas splittert, Kristalle werden brüchig. Einige Werke erinnern an Scherben, insbesondere das scheinbar zerbrochene Schaufenster der Galerie. Seine Splitterung scheint einen rötlichen, perspektivisch verzerrten Schatten an die Wand im Innern zu werfen: Nicht zum ersten Mal hat Lisa Pahlke die Begrenzung des Papiers verlassen und direkt auf die Wand gezeichnet. Das Innere ist hier–auch im übertragenen Sinne–vom Außen geprägt. Und ganz nebenbei vereint Lisa Pahlke durch die Verschränkung von Innen- und Außenraum wieder ein Gegensatzpaar miteinander. Die ästhetisch entscheidendste Polarität steckt allerdings in jeder einzelnen ihrer Arbeiten. Es gelingt der Künstlerin, jene Schönheit zum Klingen zu bringen, die Zerstörtes in sich bergen kann. Die Splitter fügen sich zu Neuem zusammen. Auf diese Weise setzt Lisa Pahlke der Ernüchterung eine bildnerische Idee entgegen, dem Desaster eine Chance, der Resignation Hoffnung.
Text: Dr. Carolin Quermann
Generell ist das Zusammenführen von Gegensätzen charakteristisch für Lisa Pahlkes Werk. Ihre Arbeiten bewegen sich in dem ambivalenten Feld zwischen Zeichnung und skulpturalem Objekt, zwischen Abstraktion und Konkretion. Diese Offenheit lässt einen hohen Grad interpretatorischer Freiheit zu. Sehen wir abstrakte Linien oder Stoff-Imitationen? Haben wir Landschaften vor uns oder Bewegungen? Sind es Scherben oder Geometrien? Lisa Pahlke meidet finale Klarheiten. Ihre Werke sind eher fragende, suchende Erkundungen als Behauptungen. Sie entstehen in einem Zwiegespräch zwischen Zeichnerin und Zeichnung. In diesem dialogischen Miteinander wird vieles verhandelt, was außerhalb der beiden geschieht. Pahlke reagiert auf Formen und Themen, auf Gedanken und Fragen, die sie–vorsichtig tastend–in den Schaffensprozess einfließen lässt. Dies können Theatererlebnisse genauso sein wie Alltagserlebnisse, Nachrichten oder Werke anderer Künstlerinnen und Künstler. So hat sich Lisa Pahlke zuletzt ausgiebig mit Polygonen befasst, seit sie zusammen mit ihrem Künstlerkollegen Matthias Lehmann 2021 erstmalig raumgreifende, skulpturale Gemeinschaftsarbeiten aus Papier schuf. Auch diese, bis heute anhaltende Kooperation hinterlässt hier Spuren.
Darüber hinaus bleibt Lisa Pahlke nicht unberührt von den Zumutungen unserer Zeit. Wie ein Seismograf nimmt sie die Schwingungen unserer Gegenwart auf, ohne auf spezifische aktuelle Geschehnisse verweisen zu müssen. Es reicht, dass Zerborstenes und Fragmentiertes den Bildeindruck ihrer neuen Werkgruppe bestimmen. Bei aller feinfühligen zeichnerischen Umsetzung führt sie die Idee der Dekonstruktion in aller Drastik vor. Wie Lucio Fontana schreckt sie nicht vor Schnitten und Schlitzungen zurück. Diese setzten das Papier in Bewegung, das sich–wie unter Schmerzen–krümmt und einrollt.
Deckchen weisen Brandspuren auf, Glas splittert, Kristalle werden brüchig. Einige Werke erinnern an Scherben, insbesondere das scheinbar zerbrochene Schaufenster der Galerie. Seine Splitterung scheint einen rötlichen, perspektivisch verzerrten Schatten an die Wand im Innern zu werfen: Nicht zum ersten Mal hat Lisa Pahlke die Begrenzung des Papiers verlassen und direkt auf die Wand gezeichnet. Das Innere ist hier–auch im übertragenen Sinne–vom Außen geprägt. Und ganz nebenbei vereint Lisa Pahlke durch die Verschränkung von Innen- und Außenraum wieder ein Gegensatzpaar miteinander. Die ästhetisch entscheidendste Polarität steckt allerdings in jeder einzelnen ihrer Arbeiten. Es gelingt der Künstlerin, jene Schönheit zum Klingen zu bringen, die Zerstörtes in sich bergen kann. Die Splitter fügen sich zu Neuem zusammen. Auf diese Weise setzt Lisa Pahlke der Ernüchterung eine bildnerische Idee entgegen, dem Desaster eine Chance, der Resignation Hoffnung.
Text: Dr. Carolin Quermann
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