Zmiana, która nadejdzie
Gebrauchsanweisung auf Polnisch
von Susanne Altmann
Wieviel Veränderung passt in einen einzigen Tag, ohne dass er platzt? Am 6. November 2024 wird klar, dass ab Januar erneut ein Voldemort-Klon das Kapitol in Washington besetzt. Der deutsche Bundeskanzler cancelt die Regierung und in Sachsen scheitern die Sondierungsgespräche für eine Koalition. Auf dem Schlossplatz findet eine winzige Spontandemo gegen Rechts statt, denn der sächsische Ministerpräsident hatte sich am Vortag mit dem Fraktionschef der braunen Brigaden getroffen. Die Aussichten sind also schlecht – unappetitliche Veränderungen stehen an.
Und ausgerechnet am Abend dieses brechreizenden Tages lädt der Lipsiusbau der Staatlichen Kunstsammlungen ein, positive Veränderungen zu feiern: „Der Wandel wird kommen“, neudeutsch: „Change to come“ und, einzig legitim, auf Polnisch: „Zmiana, która nadejdzie.“ Während die deutsche Begrifflichkeit noch etwas poetisch und vage klingt, hat die polnische Gegenwart bereits Tatsachen geschaffen. Zum Glück. Immerhin wurde diese Ausstellung verabredet, als im östlichen Nachbarland erzkonservative Populistinnen schon ein paar Jahre nicht nur an den Grundrechten schraubten, die Verfassung unterminierten und das Recht auf Abtreibung vollständig kassierten, sondern auch die Kulturlandschaft ideologisch und personell umkrempelten. Die Wahlen vom Herbst 2023 brachten Veränderung. Zmiana. Doch eines war in Polen stets gleich geblieben während der Ägide der PiS-Partei: Egal, wie viele Museumsdirektorinnen und Indendantinnen entlassen wurden, wie viele Theaterstücke zensiert und Dauerausstellungen patriotisch umgebaut wurden, die meisten notorisch kritischen Künstlerinnen ließen sich nicht einschüchtern. Sie verlegten ihre Aktionen in den öffentlichen Raum und demonstrierten gemeinsam mit Bürgerinnen gegen Restriktionen.
In diesem Geiste würdigt die Dresdner Ausstellung verschiedene Generationen des künstlerischen Aufbegehrens. Schließlich waren die Jahre 2015 bis 2023 nicht das erste Mal, dass nebenan Kultur zum Feindbild dämonisiert wurde. Die Abstraktionen von Maria Jarema (1908-1958) und die konstruktiven Visionen von Marian Bogusz (1920-1980) erinnern an die frühen 1950er, als auch in der Volksrepublik die sowjetisch geschürten Formalimusverdikte herrschten, und selbst die figurativen Grenzgänge von Andrzej Wróblewski (1927-1957) als Angriffe auf die sozialistisch-realistische Malerei galten. Hier kam der Wandel – anders als damals in Ostdeutschland – mit dem Ableben Stalins und dem Abschmelzen seiner Doktrinen. Die meisten der vom Krieg geschwächten Avantgardistinnen, so auch Lichtgestalten wie Katarzyna Kobro und Władysław Strzemiński, erlebten dieses Tauwetter nicht mehr, verdanken den heutigen kunsthistorischen Ruhm jedoch auch ihrer Unbeirrbarkeit.
Nach den freundlicheren 1960ern und den legendär liberalen Siebzigern setzte mit dem Kriegszustand ab Dezember 1981 wiederum eine düstere Phase ein, nicht nur für die Kunstausübung. Viele Künstlerinnen zogen sich in ländliche Enklaven, kirchliche und private Schutzzonen zurück und entwickelten, wie etwa Teresa Murak in ihren naturnahen Performances, Szenarien von bedrohter Intimität und Verletzlichkeit. Derlei historische, vergleichweise stille Positionen bilden ein kluges Gegengewicht zu den nach 1989 und aktuell entstandenen Werken. Damit lassen sich nicht nur existenzielle Momente des beschworenen Wandels nachvollziehen, sondern auch angemessene Würdigungen des, sozusagen vordemokratischen Kunstschaffens in Polen erleben. Diese mit Selbstverständlichkeit vorgetragene Bruchlosigkeit eines, im besten Sinne nationalen Kanons, wünschte frau/man sich für den Umgang mit deutsch/ostdeutscher Kunst. Auch, weil sich gerade in den unter widrigen Bedingungen entstandenen Werken und Stilistiken ein sehr heutiger Anspruch an engagierte Kreativität zeigt. Und um, leider, Gebrauchsanweisungen für die (ost)deutsche Zukunft, die an jenem 6. November wie ein Menetekel aufschien, zu offerieren.
Die Schrift an der Stirnwand des Lipsiusbaus funktioniert entsprechend. Dort ertönen die Gretchenfragen einer liberalen (und immer wieder herausgeforderten) Demokratie, in den 1980ern nur geflüstert, nun unüberhörbar. Zücken Sie gerne ihre Übersetzungsapp! Denn dass die Reizworte ausschließlich auf Polnisch formuliert sind, verweist auf das Dilemma postkommunistischer Kunstproduktion direkt nach 1989: Wer zum (westlichen) Establishment gehören will oder auch nur einigermaßen gehört werden, hat Englisch zu kommunizieren. Der kroatisch-jugoslawische Künstler Mladen Stilinović (1947-2016) hat dies bereits 1992 mit seinem frechen Banner „An Artist Who Cannot Speak English Is No Artist“ (Ein Künstler, der kein Englisch spricht, ist kein Künstler) auf den Punkt gebracht. Für die Aktivistinnen, die sich „Przybyszki z Przyszłości“ (Ankömmlinge aus der Zukunft) nennen, gelten derlei Inklusionswünsche nicht (mehr). Die Gruppe hatte schon 2022, als sie ihre farbigen Banner bemalte, eine weitaus wichtigere Mission. Damals wurde in der namhaften staatlichen Galerie Zachęta (Ermutigung) in Warschau ein Regierungsgünstling offenbar ohne rechtsgültige Ausschreibung als Direktor installiert. Grund genug für die „Przybyszki“ sich vor dem Eingang des Hauses aufzubauen und öffentlich zu fragen: Wozu Wettbewerbe? Wozu kritisches Denken? Wozu Bildung? Wozu Redefreiheit? Wozu Diversität? Und schließlich: Das Ende der Kunst?
Nun ist es immer so eine Sache mit politisch getunter Kunst: Die Botschaft ist klar, die Form oft propagandistisch. Mit Sprüchen bemalte Stoffbahnen können dabei manche Adressatin zum Gähnen verleiten. Insofern haben sowohl die Kuratorinnen wie auch die Kreativen Kontexte zu liefern. Was im musealisierten Aggregatzustand nicht immer einfach ist. Doch hier wussten die „Przybyszki“ Abhilfe und veranstalteten eine so prophetische wie aufmunternde Performance. Kein Zweifel - als Abgesandte aus der Zukunft müssen sie im Vorfeld um die niederschmetternden Nachrichten des 6. Novembers gewusst haben. Noch farbstärker als ihre Spruchtücher und phantastisch kostümiert, mischten sie das Vernissagenvolk auf. Sie verwiesen auf kommende planetarisch prägende Ereignisse, die in den Aussichten für das Jahr 2041 gipfelten. Zugegeben, das ist noch eine ganze Weile hin. Aber schließlich können polnische Künstlerinnen mit Wartezeiten auf den Wandel souverän(er) umgehen. Unversehens steckte der Autorin ein flugblatthafter Aufkleber in der Jackentasche, mit dem die Neuankömmlinge verkündeten: „2041. Die AFD erhält von Elon Musk eine Rakete und startet, um eine Kolonie im Weltraum zu gründen. Kurz darauf verlieren wir den Kontakt. Die Partei kehrt niemals zurück.“ Da möchte man die zuversichtlichen polnischen Kassandras gern beim Wort nehmen. Im Publikum amüsierte sich die neue Kulturministerin aus Warschau. Wusste sie Bescheid? Die Kunsthistorikerin Hanna Wróblewska verlor 2021 ihren Posten als langjährige Leiterin der Galeria Zachęta. Aufgrund ihrer geradlinigen und feministischen Arbeitsweise war sie den Kulturfunktionärinnen der damaligen Regierungspartei schon lange unbequem geworden. Dann Zmiana. Seit ihrer Vereidigung im Mai 2024 darf sie als personifizierte Zachęta = Ermutigung und als ganz und gar nicht utopische Zukunftsfigur gelten. So viel frohe Botschaft passte dann doch noch in diesen Dresdner Novembertag...
Der Wandel wird kommen.
Kritik und Engagement in der polnischen Kunst
Kunsthalle im Lipsiusbau, bis 16.03.2025
https://lipsiusbau.skd.museum/ausstellungen/der-wandel-wird-kommen/
Kuratorin: Magdalena Komornicka mit Maria Isserlis
Weitere Künstlerinnen u.a.: Wojciech Bruszewski, Rafał Bujnowski, Crisis Kiosk (Yulia Krivich, Marta Romankiv, Weronika Zalewska), Oskar Dawicki, Renata Rara Kamińska, Daniel Kotowski, Jarosław Kozłowski, Katarzyna Kozyra, Bogdan Łopieński, Marcin Maciejowski, Małgorzata Mirga-Tas, Włodzimierz Pawlak, Dominika Olszowy, Joanna Piotrowska, Agnieszka Polska, Katarzyna Przezwańska, Józef Robakowski, Wilhelm Sasnal, Ala Savashevich, Mikołaj Sobczak, Marek Sobczyk, Julita Wójcik, Jerzy Jurry Zieliński, Paweł Żukowski
In eigener Sache: Nein, dieser Text ist nicht „gegendert,“ sondern stellt einfach nur Geschlechtergerechtigkeit her, als zeitgemäße Reaktion auf historisch eingefahrene Schreibweisen. Dass sie von vom generischen „-um“ abstrahieren können, haben Generationen von Leserinnen nun hinlänglich bewiesen. So wie dieses Verständnis jahrhundertelang kaum weh tat, dürfte es andersherum auch keine erheblichen Schmerzen verursachen. S.A.