Ursula Sax und ihr „Geometrisches Ballett – Hommage à Oskar Schlemmer“ in neuer Fassung bei Appia Stage Reloaded im Europäischen Zentrum der Künste Hellerau

Ausgabe 1/2020

Ursula Sax und ihr „Geometrisches Ballett – Hommage à Oskar Schlemmer“ in neuer Fassung bei Appia Stage Reloaded im Europäischen Zentrum der Künste Hellerau
„Geometrisches Ballett – Hommage à Oskar Schlemmer“ 2019 © André Wirsig

„Während meiner Zeit an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden war ich oft im Festspielhaus Hellerau, um mir Aufführungen anzusehen. Wie gerne würde ich auf dieser Bühne meine geometrischen Figuren sehen“. Am 20.09.2019 saß die 84jährige Künstlerin nach der Premiere der Dresdner Fassung des „Geometrischen Balletts (Hommage à Oskar Schlemmer) im Festpielhaus Hellerau im Dalcroze-Saal auf dem Podium mit der Dramaturgin Isolde Matkey, dem Moderator André Schallenberg (Leitung Theater, Tanz Hellerau), der Tänzerin und Choreografin Katja Erfurth, dem Komponisten und Live-Musiker Sascha Mock und dem Schauspieler Erik Brünner und war hocherfreut über das, was das genreübergreifende Team aus zwei Tänzerinnen, einem Schauspieler, einem Rhythmiker und der Sängerin Annette Jahns mit der Choreografin erarbeitet hat: „eine sehr spannende Variation zu der Aufführung, die ich 1992 in Braunschweig als Professorin mit Studenten aus verschieden Hochschulen aufführen ließ. Z. B. diese Ärmelwand, die ist jetzt einfach ein Kammerstück geworden.“

Ermöglicht hat dies ihr Galerist und „Botschafter“ für dieses Projekt Semjon H. N. Semjon aus Berlin, mit dem sie nach ihrer Rückkehr von Dresden nach Berlin seit einigen Jahren zusammenarbeitet. Er hat (als ehemaliger Bildhauer) das Potential dieser ungewöhnlichen Künstlerin erkannt und ihr Gesamtwerk erforscht und geordnet. Das Bauhausjahr 2019 war Anlass sich genauer mit den Tanzskulpturen der Ursula Sax zu befassen, die inzwischen in der Berlinischen Galerie als Schenkung eingelagert waren. Dank einer von Semjon gestarteten Crowdfunding Aktion konnten die originalen Tanzskulpturen für den theaterspezifischen Probenprozess dupliziert werden. Bauhausaffine Orte konnten von tristan Production für die Aufführungen gefunden werden: Bauhaus Dessau und Haus Schminke in Löbau, um nur einige zu nennen. Den Ort der Uraufführung im Radialsystem Berlin konnte ihr Galerist vermitteln.

Die Bildhauerin Ursula Sax (geb. 1935 in Backnang) nahm bereits mit 15 Jahren ihr Studium an der Staatlichen Akademie in Stuttgart auf. Sie studierte u.a. bei Willi Baumeister, der mit Oskar Schlemmer befreundet war. „Er war seitdem in meinem Kopf“. Sein Triadisches Ballett hat sie mehrfach gesehen. Ab 1955 ergänzte sie ihr Studium an der HfbK Berlin (jetzt UDK) bei Hans Uhlmann. Als sie dort später als Gastprofessorin bei den Kostümbildnern war und dort zum ersten Mal Reifröcke sah, entstand die Idee, sie für ihre Körperskulpturen zu nutzen. Ursula Sax besorgte sich Bandstahl und ging an die Arbeit. Sie entdeckte, dass wenn man mehrere Reifen an einem Kleid übereinander anordnet und in die Knie geht, sie sich mit Luft füllen. Die Geburtsstunde der Luftkleider: „Sie liegen da und es ist nichts, erst wenn sie sich mit Luft füllen, bekommen sie Form.“ (U. Sax) Zu den Luftkleidern kamen die Körperpappen aus Karton, sehr streng, sehr geometrisch und die Bewegung der Darsteller stark einschränkend. Die dritte Gruppe der „Körpermasken“ ist aus schwerem Filz genäht und erlaubt den Tänzern dennoch eine größere Freiheit, da die „Softsculpture“ zwischen Behausung, Schutzkleid und Panzer oder einer abstrakten Form changiert.

„Geometrie hat mich sowieso immer interessiert“, meinte sie im Interview mit Semjon, „ein spannendes Thema“ und er ergänzt, dass das tänzerische Element schon in ihrem frühen Werk angelegt sei: von der hermetisch geschlossenen Kernskulptur sich früh entfernend öffnet sich die Skulptur der Sax sukzessive über die Jahre in den Raum und setzt sich in kühnen Formen – und bald auch tänzerisch – in Bewegung. Hier wäre neben zahlreichen andere der gelbe, sich haushoch in den Himmel windende „Looping“ an der Avus in Berlin zu nennen. Doch schon zuvor eroberte die Professorin Ursula Sax mit ihren Studenten in Performances den öffentlichen Raum, bei denen sie skulpturale Formen nutzte. Sie war Professorin für Bildhauerei zuerst an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig (1990-1993), danach in Dresden (1993-2001). Als freie Künstlerin ab 1955 hat Ursula Sax alle bildhauerischen Materialien durchgearbeitet und neue, damals wesensfremde hinzugewonnen: So entstanden unterschiedliche Werkgruppen aus Stein über Bronze zu Holz und Strick – und von Textil zum Papier. Auf die Frage von Cornelie Kunkat bei einem Interview für die Zeitung des Deutschen Kulturrates: „ Wie beschreiben sie deren (der Werkgruppen) roten Faden ?“ antwortet U. Sax: „Ich bin der rote Faden. Ich habe immer gemacht, was ich wollte, was ich in mir spürte. Wenn dann aber eine Materialphase zu Ende ging.... dann gab es einen Punkt, an dem ich dachte: jetzt nicht mehr...“ (veröffentlicht in HELLERAU Magazin #2-2019). Mit 21 Jahren bekam sie den ersten öffentlichen Auftrag. „Almeno due“, so heisst ihr erstes Auftragswerk, ist inzwischen auf Vermittlung ihres Galeristen Semjon als Dauerleihgabe des Studierendenwerks an die Nationalgalerie vermittelt worden.

Es folgten viele erfolgreiche Wettbewerbe, insbesondere auf Architektur und Stadtraum bezogen. Wer kennt nicht ihren gelben „Looping“ von 1992 hinter dem Messeturm in Berlin Charlottenburg oder erinnert sich in Dresden an den “Raummesser UX 35“, der den Lichthof des Albertinums von 2011 bis 2014 so genial vermaß. Eine Krönung dieser Entwicklung ist das „Geometrische Ballett“, das in erster Linie skulptural gedacht ist und die choreografierte Bewegung der Skulptur, den Tanz in den Raum, auf die Bühne bringt. Angekommen im Tempel der Moderne auf der berühmten weissen Bühne von Adolphe Appia nahm die Choreografin und Tänzerin Katja Erfurth die Einladung zum kreativen Nutzen der Tanzskulpturen von Ursula Sax an. In einer Produktion der Dramaturgin Isolde Matkey von der Dresdner Agentur tristan Production mit Hellerau, dem Europäischen Zentrum der Künste, wurde die Neufassung erarbeitet. Mit der Musik von Sascha Mock, die parallel zum szenischen Entstehungsprozeß aus der Improvisation und Begleitung der Proben entstand, und der Erfahrung der Choreografin in Zusammenarbeit mit Live-Musikern und den daraus entstehenden Klang- und Bewegungsräumen unter der Lichtregie von Ted Meier, wurde die Premiere in Hellerau zu einem Erlebnis, das alle Sinne anregte. Das Publikum im ausverkauften Saal verfolgte gespannt, wie die Formen der Ursula Sax in ihren geometrischen Ausgangspositionen immer wieder veränderbar als Körperpappen an den Protagonisten auf- und eingeklappt durch den Raum bewegt wurden. Eine einzelne Figur im weißen Reifkleid schritt im dramatisch ausgeleuchteten Raum auf eine der typischen Appia-Treppenpodeste, verschwand wieder und es erschienen diese wunderbaren Luftkleider: Grün-Rot in luftig eleganten Drehungen, Blau-Weiß in schöner Harmonie sowie eine kleine Tonne, die skurril über die Bühne wackelte.

Dann folgten die fünf weißen Luftkleider mit Ärmeln, die sich kraft des in ihnen gestauten Luftdruckes mit der Bewegung der Tänzer veränderten. Das hatte Humor und die Eleganz des Tanzes aus dem klassischen Ballett. Großartig, wie der Rhytmiker Liang Zhu eine riesige durch den Luftstrom bewegte Walfisch-Windfigur über die Bühne schweben ließ. Eine witzige Skulpturenwand kommunizierender Ärmel zu einem rhythmisch genialen stimmakrobatischen Rap von Schauspieler Erik Brünner begeisterte uns. Die Körpermasken aus Filz stellten die größte Herausforderung an die Protagonisten dar: „Wir sahen nichts, konnten uns nicht bewegen“, Katja Erfurth beim anschließenden Künstlergespräch. Und doch wurde dem staunenden Publikum ein wunderbares Ballett geboten mit fantastischen Kostümen, die uns fast in die Welt des Hieronymus Bosch entführten wie „Körperrad“, „Kreis im Kubus“, „Quastenflossen-Krieger mit Spitzhelm“, ein „Kriegerpapst“, ein Grabritter mit Mädchen, ein Soldat und „Kürbispanzer-Krieger mit Spitzhelm“.

Das Publikum war hochkonzentriert, ergriffen von dem sensiblen Zusammenspiel der Protagonisten, den Tänzerinnen Helena Fernandino, Jule Oeft, dem Schauspieler Erik Brünner, dem Rhytmiker Liang Zhu und natürlich der tanzenden Choreografin Katja Erfurth, dem Musiker Sascha Mock mit seinem im Fluss der Bewegung zugespielten Sounds. Dazu sein Spiel der Instrumente des Schlagwerks, der etwas esoterisch klingenden Handpan, melancholischen Klangschalen, klingelnde Heiterkeit kleiner Schellen. Zitate von André Purcell mit dem zugespielten Gesang von Annette Jahns setzten einen besonderen Akzent.

Wie gerne hätten sich viel mehr Besucher von den sensibel geführten Bewegungen der Menschen im Dialog mit dem Material dieser Figuren und Formen verzaubern lassen. Ich habe viele getroffen, die sich vergeblich um Karten bemüht hatten, sogar im Vorraum warteten, um wenigstens beim Künstlergespräch dabei sein zu können.

Ich wünsche der Künstlerin und dieser Aufführung noch viele spannende Orte.

Elly Brose-Eiermann

www.werksax.de

www.semjoncontemporary.com/gallery/ursula-sax/