Mission verfehlt

Ausgabe 3/2018

Mission verfehlt
Wainem (born 1925) was one of tens of thousands of 'comfort women' forced into prostitution by the Japanese military during World War II.

Im Militärhistorischen Museum scheitert die Ausstellung „Geschlecht und Gewalt“ und das noch nicht einmal grandios

von Susanne Altmann

Eine vierköpfige Abordnung weißer Männer erscheint zur Pressekonferenz, um den Anwesenden die Stoßrichtung zu erläutern. Zwei tragen Jackett, die anderen beiden Uniform. Genauso muss frau es sich vorstellen, wenn das Militärhistorische Museum der Bundeswehr in Dresden auf das Thema „ Geschlecht und Gewalt“ losmarschiert. Unübersehbar grüßt das Fragezeichen hinter dem Untertitel: Männlicher Krieg und weiblicher Frieden? Na, das muss mann ja mal fragen dürfen, ergänzt die Fachbesucherin im Geiste. Eingestimmt wurde sie bereits im Außenbereich von zwei wegweisend phallischen Illustrationen: mit der Installation „Crazy Daisy“, links vom Eingang, hat Birgit Dieker eine V2-Rakete aus weiblichen Figurinen nachempfunden und rechts hat der Norweger Morten Traavik eine Rakete in eine Art aufblasbares Kondom gesteckt. Dazwischen und auf dem First des Gebäudes wurden geschlechtslose Nackedeis der Isländerin Steinunn Thórarinsdóttir aufgereiht, als Platzhalter des Androgynen. Da bleibt keine Flanke offen.

Jetzt betont der neue Hausherr der Institution, Oberstleutnant Armin Wagner, dass die Ausrichtung seines Museums auch unter seiner Leitung erhalten bliebe: Nach wie vor wolle man keine statische Waffenschau präsentieren. Na, dann ist ja alles Wichtige gesagt, oder? Jedenfalls seien seit 2001 alle Laufbahnen der Bundeswehr auch für Frauen geöffnet. Nachdem das zumindest klargestellt ist, ergießt sich ein Platitudenschwall: „Irgendwie haben wir ständig im Alltag mit diesem Thema zu tun: dem Verhältnis zwischen Mann und Frau.“ Obzwar mann bereits sechs Jahre an diesem Großprojekt geplant habe, liege mann „zufällig richtig“, weil nämlich momentan die Genderdebatte so aktuell sei.

Um beherzt Geschlechtergerechtigkeit herzustellen, schickt Kurator Gorch Pieken die Besucherinnen anschließend durch einen Parcours aus Gemäldereproduktionen. Dort soll mit dem Vorwurf aufgeräumt werden, Frauen mangele es an Schöpfergeist. Die Werke der präsentierten Künstlerinnen widmen sich ausschließlich Gewaltszenarien, physischen wie strukturellen und enden mit trendig bonbonfarbenen Lippenstiftraketen von Sylvie Fleury. Der Autorin bleibt die Botschaft dieses Arrangements leider verschlossen.

Doch das war erst der Prolog eines in fünf Akte gegliederten Rundumschlags, der sich anschließend der „Welt/macht Mann“ zuwendet. Nachdem didaktisch einige Regelfälle des männlichen Machstrebens strapaziert werden, geht es munter querbeet zu Schlagworten wie Hysterie, Hormone, Sexismus, sexualisierte Gewalt, dem Amazonenmythos und zu den Hexenverfolgungen weiter. Frauen in Machtpositionen werden mit Exponaten vorgestellt – Zarin Katharina vermittels eines monumentalen Kostüms, Pharaonin Hatschepsut mit einem altägyptischen Artfefakt, Margret Thatcher und Jacqueline Kennedy durch ihre Handtaschen – oder waren’s Hüte? – und später die KZ-Nemesis Ilse Koch mit einem psychiatrischen Gutachten.

Ratlosigkeit macht sich breit. Was wird hier eigentlich untersucht? Der Fakt, dass gerade Herrscherinnen nur als Stellvertreterinnen in einem dynastischen Machtvakuum zum Zuge kamen? Dass Frauen ebenso zu strategischer Aggression wie Männer fähig sind? Dass sie das Kriegshandwerk genau wie jene lieben und sich drum einst als Crossdresserinnen auf die Schlachtfelder schmuggelten? Oder fungieren derlei Versatzstücke als Basis dafür, die Bundeswehr ob ihrer Chancengleichheit zu feiern? In diesem Sinnen winken schmucke Uniformen und sogar eine spezielle Handtasche den perspektivisch begeisterten Rekrutinnen zu. Daneben erfährt frau noch, wie es um die Offiziersschülerinnen in der DDR bestellt war und dass es 1982 die Protestbewegung der „Frauen für den Frieden“ gegeben habe, die sich gegen Erich Honeckers Plan der Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht wandte.

Die Informationen, Bilder, Exponate und noch viel mehr Texttafeln rauschen nur so vorbei. Zahllose Unternarrative folgen der Thematik „Geschlecht und Gewalt“ bis in die letzte Verästelung und legen die Sorge nahe, am Vorwurf der Unvollständigkeit oder der gesellschaftlichen Unkorrektheit zu scheitern. Doch das dialektische Umschlagen der quantitativen Fülle in eine höhere Erkenntnisqualität bleibt aus. Das hat nicht nur mit der inhaltlichen Überwältigungsgeste zu tun, sondern – bedauerlicherweise – auch mit der Ausstellungsgestaltung des sonst so stilsicheren Schweizer Designbüros Holzer & Kobler. Das kommt besonders in der erstmalig bespielten Halle 28 zur unglücklichen Entfaltung. Frau möchte gar nicht hinter die Kulissen der mit mobilen Bühnenvorhängen gegliederten Ausstellungsplanung blicken. Dahinter könnte etwa bittere Budgetnot gähnen, die die Gestalter zu werkstattartigen Arbeitstischen und mit weißen Sandsäcken beschwerten Stellwänden verleiteten, die die Verwirrung der durch Dauerlektüre geforderten Besucherinnen bis zur Erschöpfung steigern. Natürlich ist es informativ, einmal ein aus Kriegsmüll gefertigtes Kinderkarussell aus der Nähe zu sehen und eine US-amerikanische Beschneidungseinrichtung nahe einem Satz von Duellpistolen. Oder ganz am Anfang noch einmal die Geschichte von der Feministin Valerie Solanas zu erfahren, die 1968 mit ihren Schüssen fast Andy Warhol tötete.

Aber bitte und nochmals: Was soll uns diese Aufreihung sagen? Dass Rollenmodelle nicht nur im 20. Jahrhundert immer wieder aufgebrochen wurden und dass sie dennoch in Erziehung und Sozialisation immer weiter wirken? Dass Biologie keine Erklärungen bietet und doch immer wieder dafür herhält? Dass die geschichtliche Dominanz von Frauen als Opfer männlicher Gewalt eine Projektion sei? Also bitte.

Letztendlich, und bei aller Plakativität, reicht es, sich im Außenraum des Museums aufzuhalten, wo mit dem Pilotprojekt „Targeted Interventions“ (etwa: zielgerichtete Eingriffe), die geschlechtliche Zuordnung von Gewalt klar und zum Glück auch humorvoll geklärt wird. Während im Inneren des Hauses Regel- und Sonderfälle bis zur Unkenntlichkeit miteinander konkurrieren, stellen die Guerilla Girls mit ihrem Großplakat klar, dass die Welt eine Östrogenbombe braucht und dem kritischen Blick zweier Augenskulpturen von Louise Bourgeois entgeht frau/mann nur, indem wir uns erschöpft in die faltenreichen Sitzbänke auf deren Rückseite schmiegen. Zurück in den Mutterleib als Ort der Geborgenheit und Gewaltfreiheit. Ja, so einfach ist das. Was soll das ganze sinnlose Blutvergießen? Das Gleiche muss sich Via Lewandowsky gedacht haben, der die Monumentalfigur eines DDR-Motschützen aus der Museumssammlung einfach mal umgelegt hat, so dass dessen Maschinengewehr in den Himmel zielt.

Bis zum 30. Oktober 2018

www.mhmbw.de/sonderausstellungen/gug