BÖTTGERS ERBEN - Die DDR und ihre edlen Scherben
Ausgabe 3/2025

von Susanne Altmann
Als DDR-Botschafter des Friedens im Kalten Krieg standen Räuchermännchen und Nussknacker aus dem Erzgebirge hoch im Kurs. Nebenbei ließ sich damit Valuta verdienen. Eine mindestens ebenso wichtige – ökonomisch wie ideologisch – Funktion hatte Meissner Porzellan. Weltweit begehrt, diente es nicht nur als Handelsware, sondern auch als Diplomatengeschenk und Belohnung für klandestine Dienste. Dazu später.
Im Land selber war das „Weiße Gold“, entwickelt vom Alchimisten Johann Friedrich Böttger, kaum zu bekommen. Sebastian Bank, Ko-Kurator der kommenden Ausstellung „Die blauen Schwerter – Meissen in der DDR“ traf viele ostdeutsche Zeitzeug*innen. Jede*r erzählte eine persönliche Porzellangeschichte. Es sind dies Erzählungen über gehütete Familienerbstücke, vom abenteuerlichen Erwerb der Bückware oder aber von unerfüllter Sehnsucht. Prominent kommen die damaligen Protagonist*innen der Manufakur zu Wort. Julia Weber, Direktorin der Porzellansammlung und Ko-Kuratorin, hatte das Projekt schon im Gepäck, als sie vor acht Jahren nach Dresden kam. Was so lange reifte, muss endlich gut werden. Zumal mit dem Schauplatz des Japanischen Palais' dessen historische Bestimmung als, wie einst von August dem Starken ersehnt, porzellanenes Gesamtkunstwerk nun zumindest zeitweise eingelöst wird.
Die moderne Optik einiger Exponate dürfte den Kurfürsten freilich etwas irritieren. Zwar würde er in der Tat die Nachbildungen berühmter Stücke von Skulpteur Johann Joachim Kaendler und Maler Johamm Gregorius Höroldt aus dem zwanzigsten Jahrhundert finden. Denn schließlich waren neunzig Prozent der Produktion für den Export nach Westdeutschland vorgesehen und hatten einem traditionellen Geschmack zu folgen. Doch die sozialistischen Erben des Meissner Staatsbetriebs hatten, neben dem einträglichen Kopistentum, auch zu zeigen, wie sich die feudalistischen Luxusgüter in die sozialistische Gegenwart eingliedern ließen. Besonders spektakulär, so findet Julia Weber, zeigt sich dieser Drang in jenem Porzellanfries, den Max Lingner 1953 für das so genannte Haus der Ministerin in Berlin schuf. Um seinen weichen Figurenstil nicht den technologischen Bedingtheiten von etwa Mosaik oder Sgraffito zu opfern, wurden dem Maler und Illustrator edle Meissner Fliesen gestattet. Beim Inhalt gab es weniger Entgegenkommen: Damit auch alle Aspekte des jungen DDR-Sozialismus gezeigt würden, musste Lingner seinen Entwurf mehrfach anpassen, so oft, dass er es zuletzt misslungen fand.
Nichtsdestotrotz gilt es als programmatisches Gründungsbild der DDR und als Beginn der speziellen Abteilung für Wandbilder in Meißen. Auch mit Blick auf den Dresdner Fürstenzug stellt Silke Wagler im Begleitbuch fest: „Von der Wahrnehmung des Materials als Luxusgut erwartete man sich wohl zudem eine Aufwertung der ideologischen Inhalte.“ Fortan entstanden an „politisch aufgeladenen Orten“ (S.W.) wie im Staatsratsgebäude Berlin, in Gästehäusern der Partei und Großbetrieben mehr oder weniger propagandistische Wandbilder. In der Ausstellung findet sich auch die, 2004 noch rechtzeitig von der Künstlergruppe REINIGUNGSGESELLSCHAFT geborgene Szene „Projektierung.“ Als Element eines vierteiligen Bildensembles von Erich Gerlach befand sie sich im Kombinatsgebäude des VEB Schokopack in Dresden. Mit ihrer künstlerischen Rekontextualisierung des Fragments als „Zukunftsversprechen“ nahm REINIGUNGSGESELLSCHAFT die mittlerweile etablierte, damals noch unübliche, Bewahrung von ostdeutschen Kulturgütern vorweg.
Während Erich Gerlach 1964 und Lingner 1953 sowieso noch ganz brav auf sozialistisch-realistische Figuration setzten, waren die Richtlinien zehn Jahre später bei der Planung für den Berliner Palast der Republik viel weniger starr. Hierfür sprach man das inzwischen als Erfolgsteam anerkannte „Kollektiv künstlerische Entwicklung“ an. Es bestand zu Anfang fünf Herren: dem Leiter und Formgestalter Ludwig Zepner, dem Bildhauer Peter Strang, dem Maler Heinz Werner sowie den Dekorgestaltern Rudi Stolle und Volkmar Brettschneider. Unter ihren Händen entstanden, als „Neues Meissen“ gelabelt, Formen und Ensembles, die nicht auf konservative Porzellanfreunde zielten, dafür aber handwerkliche Exzellenz und modernen Zeitgeschmack vereinten. Meißen hatte erkannt, dass sich „die älteste der europäischen Porzellanmanufakturen“ nur als „rechtmäßiges Erbe von Höroldt und Kaendler“ qualifizieren könne, wenn sie mit der Zeit ginge. So zumindest vermeldet es ein Jubiläumsbuch des Unternehmens aus dem Jahr 1975. Nun also mit dem Palast der Republik und seiner erhofften internationalen Reputation eine neue Aufgabe: „Festlich und dekorativ“ so Julia Weber, sollten die Porzellanwände „für Milchbar- und Mokkabar im Erdgeschoss und das Volkskammerrestaurant im Obergeschoss wirken.“ Für letzteres realisierten Zepner und Strang, mit einer Verbeugung zum erfinderischen Alchimisten, einen Untergrund aus rotbraunem Böttgersteinzeug, darauf einen schwungvollen, weißen Blätterwirbel. Auch die Fliesenbilder in den beiden Cafés waren hundertprozentig ideologiefrei: Stolle und Werner lösten einen Reigen aus Gestalten und Blüten in einen organischen, gestischen Fries auf. Wie auch mancherlei Themengeschirre zuvor, scheint sich das verspielte Dekor an den Duktus des tschechoslowakischen Trickfilmers Jiří Trnka anzulehnen.
Ab 2005, im Zuge der allgemeinen Demontage des Palasts, wurden diverse Teile umplatziert oder aber gleich an Privat verscherbelt (!). So kaufte ein Sammlerpaar die Fliesen aus der Milchbar auf, grad so wie sich diese nach der Abnahme in gastronomischen Abtropfkörben stapelten. Dass ein Teil davon als Leihgabe rekonstruiert wurde, ist nicht nur für Julia Weber eine Sternstunde. Weitere spektakuläre Objekte sind zu erwarten: So etwa der „Wackelpagode“ und eine Zwiebelmuster-Teekanne nebst Tasse. Als monumentale Gipsfiguren, nachgebildet in der Kunsthochschule Dresden, schmückten sie 1960 den Festumzug zum 250. Jubiläum der Manufaktur. Als Memorabilia der massiven, achthundert Meter langen Prozession mit 91 derartigen Thementableaus gehören sie heute dem Stadtmuseum Meißen. Ohne die geringsten Berührungsängste beschwor das sozialistische Event opulente barocke Fürstenfeste herauf. Die ehrgeizige Aneignung von feudalen Prestigethemen ging mit der Beauftragung eines vielteiligen Tafelgeschirrs zum Thema Jagd weiter. Neben üblichen Serviergefäßen wartete das Ensemble mit thematischen Kleinskulpturen wie Tafelaufsätzen und Leuchtern auf. Die organischen, fast überschwänglichen Formen durfte das Team um Zepner, offenbar der Inspiration halber, 1973 auf dem Jagdschloss Moritzburg entwickeln, Pirschgänge mit der örtlichen Jagdgeselllschaft eingeschlossen. (Übrigens wurde zeitgleich auf dem Anwesen ein weiterer sozialistischer Exportschlager produziert: der Märchenfilm „Drei Haselnüsse für Aschenputtel.“) Gewiss speiste Erich Honecker, Oberjäger und DDR-Staatschef seit 1971, mit hohen Gästen das selbsterlegte Wildbret von Meißner Tellern. Als populärstes Motiv für Speisegeschirr galt jedoch das Zwiebelmuster. Eine ostdeutsche Durchschnittsfamilie ohne besondere Beschaffungskanäle musste allerdings auf nicht-meißnische Nachahmungen zurückgreifen.
So wuchs auch die Künstlerin Antye Guenther, in Rostock geboren, mit den blau-weißen Mustern auf, die sie allerdings „nie wirklich leiden konnte.“ (A.G.) Erst 2019, auf einer Studienreise ins japanische Arita, fing sie Feuer: In den dortigen Werkstätten wurde schon im 17. Jahrhundert Porzellan für den nach derlei Exotika gierenden europäischen Markt hergestellt. In Meißen dienten diese Stücke dann als Vorlage. Noch perplexer war Antye Guenther, als sie inmitten in der südjapanischen Landschaft auf einen surrealen Themenpark stieß: den originalgetreuen Teilnachbau des Dresdner Zwingers. Seither widmet sie sich in einer Fusion von feinstem Zwiebelmustergeschirr mit performativer Recherche den einstigen Verstrickungen der Manufaktur in Weltpolitik und Spionage. Kaum merklich spinnt sie wahre Geschichten um Kulturdiplomatie und Devisenwahn, die durchaus real zwischen den beiden Porzellanherstellern Meißen und Narita bestanden, nun weiter ins Reich der Fiktion. Zu den so kuriosen wie wahren Ereignissen, die sie fand, zählt nicht nur die Zwingerreplik zwischen Reisfeldern, sondern auch ein (geplatzter) Plan, Mikrolektronik des Computerherstellers Toshiba in die DDR einzuführen. Mit blauweiß gemusterten Servierplatten, Schüsseln und Vasen, auf den ersten Blick kaum von ihren historischen Vorbildern zu unterscheiden, lässt sie in der Meißner Manufaktur ihre „spekulative Keramik“ produzieren. Genauer betrachtet, enthalten die Arabesken dann fiktive Schaltpläne, technoide Adaptionen von exotischen Vögeln oder kaum entzifferbare Texte. Antye Guenthers Versionen von fiktiven Diplomatengeschenken suggerieren geheime Botschaften, mithilfe derer sich die technologisch unterentwickelte DDR einen Vorsprung vor dem Westen herbeispioniert haben könnte. „Erreichte das Porzellanobjekt seinen rechtmäßigen Empfänger, sollte sich die unsichtbare Informationsschicht beim ersten Kontakt mit Wasser rückstandslos auflösen und (es)...so in ein unschuldiges Gastgeschenk... zurückverwandeln.“ (A.W.) Auch diese real existierenden, kostbaren Neuschöpfungen zwischen kreativer Geschichtsklitterung und zementierten Narrativen sind in der Ausstellung zu sehen.
Die blauen Schwerter – Meissen in der DDR
Staatliche Kunstsammlungen Dresden,
Japanisches Palais vom 20.09.2025 bis 22.02.2026
https://japanisches-palais.skd.museum/ausstellungen/die-blauen-schwerter-meissen-in-der-ddr/
zu Antye Guenther: https://aguenth.de/