Intervention. Was für ein Monstrum von einem Wort

Ausgabe 2/2022

Intervention. Was für ein Monstrum von einem Wort
Emeka Ogboh, At the Threshold / An der Schwelle, 2021 © Tom Dachs

von Susanne Altmann

Bekanntermaßen aus dem Lateinischen stammend, bedeutet intervenire so allerlei: dazwischentreten, eingreifen, sich einschalten. Eine Klärung dieses Begriffs ist ohne Kontext nicht möglich, womit die Probleme beginnen. Intervenieren im sozialpädagogischen, im medizinischen und psychologischen Bereich verspricht eher schmerzhafte Maßnahmen, mit therapeutischen Zwecken. Zuallererst handelt es sich bei einer Intervention um einen Eingriff in ein bestehendes System, eine Ordnung. Und gleichgültig, wie kontraproduktiv eine Ordnung auch sein mag, sie geht mit Gewöhnung einher; weshalb eine Intervention meist als Störung von Abläufen, als Irritation ankommt. Zudem ist das Wort im Sprachgebrauch mit einem militärisch-aggressiven Unterton versehen – ich erwähne dies nicht von ungefähr. Einen Angriffskrieg wie den russischen in der Ukraine als Intervention zu bezeichnen, klingt fast schon euphemistisch.

Im Kunstbereich allerdings hat Intervention einen positiven, progressiven Beigeschmack. Meist handelt es sich dabei um kurzzeitige, oft performative Vorgänge. Wichtig ist, dass dadurch Routinen durchbrochen werden, gerne als Gesten des künstlerischen Protests und je nach politischer Situation, mit einem gewissen Risiko für die Ausführenden. Als die Gruppe 3Nós3 bereits 1979 in São Paulo etwa Denkmäler im Stadtraum rabiat verhüllte – „zum Schweigen brachte“, legte sie sich mit der herrschenden Miltärjunta Brasiliens an. Dieses „Ensacamento“ war nicht nur ein gefährliches, sondern unterdessen exemplarisches und theorietaugliches Unterfangen. So leitete die britische Expertin Claire Bishop daraus einige Schlüsselmerkmale dieser Kunstform ab: öffentliche Räume als Bühne, das Fehlen von Genehmigungen, mediale Zirkulation, Verwendung einer alltäglichen Bildsprache sowie genaue zeitliche Planung.

Heute sind die Schnittmengen zwischen Kunstaktion und zivilgesellschaftlicher Auflehnung gegen obrigkeitsstaatliche Repressalien gewachsen und die Übergänge fließend. Diese ästhetischen und inhaltlichen Überschneidungen haben sich mindestens seit dem Arabischen Frühling, also seit gut zehn Jahren, entlang spezieller medialer Kanäle noch weiter verstärkt. Mit Selbstverständlichkeit wird schon im Vorfeld künstlerischer Interventionen über deren Bildförmigkeit auf Instagram, Youtube & Co nachgedacht. Und nicht nur das: Choreographien, farbliche Identitäten und Agitationsobjekte werden präzise auf ihre Eignung für digitale Verbreitung hin kalkuliert. Nun werden Sie, zu Recht, bemerken, dass optisches Kalkül von jeher jeden ­Karnevalsumzug, jede nordkoreanische Militärparade und jede Eröffnungsfeier eines Sportevents begleitet. Stimmt schon, doch von Risiko kann bei derlei Visualitäten keine Rede sein.

Mit gelben Regenschirmen in Hongkong oder schwarzen in Polen, mit orangefarbenen Accessoires in Kyiv 2004, mit grünen T-Shirts und Kopftüchern in Teheran 2009 sowie mit roten Blumensträußen vor weißen Kleidern in Belarus 2020 kam eine neue Qualität ins Spiel: Diese ­politischen Optiken sind unverwechselbar in ihrer Bildwirkung. Ihre Interpretation funktioniert nonverbal; sie verhalten sich infiltrativ und resilient wie Wildpflanzen, und ihre Ursprünge lassen sich unmöglich auf eine einzelne Quelle zurückführen. Die Eigenständigkeit und Authentizität dieser kaum berechenbaren Interventionen werden von den Bildnetzwerken transportiert und für gewisse Rezipienten überhaupt erst zum Existieren gebracht. Das heißt, eigentlich flüchtige Interventionen werden über längere Zeit­räume hinaus aktiviert und weisen aufgrund ihrer autonomen Ästhetik über reine Berichterstattung hinaus.

Für „Ensacamento“ hatten 3Nós3 die Presse im Vorfeld verständigt, um den Radius der Aufmerksamkeit für die nächtliche Verhüllung zu erhöhen. Damals ging es noch (nur) um Titelseiten von Zeitungen und Magazinen. Dieser Mechanismus ist längst zum Selbstläufer geworden, wenn sich eine Intervention, welcher Natur auch immer, im, als öffentlich verstandenen medialen Raum vollzieht. Das Beispiel eines russischen (fast hätte ich „sowjetischen“ geschrieben), staatsnahen Fernsehsenders zeigte am 14. März 2022, wie sich eine performative Intervention in Echtzeit absolut vorhersehbar (und auch so geplant) in ein zeitgeschichtliches Ereignis ­verwandelte. Eine bislang regierungstreue Fernsehredakteurin namens Marina Owsjannikowa störte ein Nachrichtenformat zur besten Sendezeit, indem sie mit einem Schild vor die Kamera lief, das die Ungeheuerlichkeiten des Ukrainekriegs anprangerte. Kunst war das sicherlich nicht, doch eine Intervention gegen die Intervention. Owsjannikowa hat von der Kunst gelernt: von Pussy Riot, von Woina oder Pjotr Pawlenski, um allein in der russischen Echokammer zu bleiben.

Mit solchen Überlegungen im Kopf betrete ich kürzlich das Albertinum. Wie gut es tut, wieder (fast) unreglementiert einen kulturellen Innenraum zu betreten. Trotzdem plagt mich die Sinnfrage. Könnte ich nicht gleich den Fahrstuhl in den Elfenbeinturm nehmen? In diesen Zeiten? Genauso absurd fühlt es sich an, durch das hintere Treppenhaus nach oben in die Sammlung zu gelangen. Unversehens finde ich mich in einem abgedunkelten Raum wieder. Sollte ich jetzt nicht auf gefeierte Zeugnisse des westeuropäischen Impressionismus stoßen?

Ausgerechnet hier hat der nigerianische Künstler Emeka Ogboh, ja tatsächlich: interveniert. Schon haben sich Besucher*innen beschwert und auch manche Aufsichtskräfte rollen mit den Augen. Zwar ist Provokation kein alleiniger Indikator für eine gelungene Intervention – doch verrät die Störschwelle des Publikums schon eine Menge darüber, ob der/die Künstler*in den Finger in die Wunde gelegt hat. Emeka Ogboh ist das geglückt, indem er zunächst mal die Museumsbeleuchtung ausgeschaltet lässt. Das will verkraftet sein. Unterdessen formiert sich an der hinteren Wand das Leuchtbild eines Leoparden. Die Skulptur, von Ogboh fast wie ein Altarbild inszeniert, gehört zu den vieldiskutierten Benin-Bronzen aus dem Dresdner Bestand. Symbolisch greift der Nigerianer in die museale Erzählung des 19. Jahrhunderts ein. Damals wurde systematisch Geschichte verfasst, Inklusionen und Exklusionen vorgenommen, die bis heute gültig sind. Und bis heute lässt dieser Kunstkanon keinen Raum für nichtwestliche Entwicklungen. Als Bild eines Bildes vertritt die elegante Raubtierfigur nun die abwesenden Erzählungen des globalen Südens. Paradoxerweise resultiert dieser Mangel nicht aus dem Fehlen von Objekten. Diese fehlen nur in ihren Herkunftsländern. Das Übel wurzelt einerseits in der völkerkundlichen Stigmatisierung von außereuropäischen Positionen, andererseits im akademischen Unwillen, dafür gleichrangige Kategorien zu schaffen, Theorien zuzulassen. Vom massenhaften, räuberischen Entzug von Artefakten wie den Benin-Bronzen in jenem Jahrhundert der nationalstaatlichen Museumsgründungen haben wir da noch gar nicht gesprochen.

Es ist eine winzige, fast rührende Geste von Emeka Ogboh, mit der er den Kunsthelden des Abendlands, diesen Corinths, Degas, Toulouse-Lautrecs, die sich vorzugsweise an nicht- oder leichtbekleideten Frauenkörpern abarbeiteten; diesen Herr(!)schaften also das Licht abdreht. Auch wenn die heutigen Kulturkonsument*innen dadurch im realen und geistigen Dunkel stehen, zumindest bis ihnen die Taschenlampenfunktion ihres Smartphones einfällt. Wird der einen oder dem anderen in diesen irritierenden Sekunden ein eigenes Licht aufgehen? Falls nicht, dürfen die verehrten Gäste ihre kleine („Also wirklich!“) Entrüstung in das lichte Treppenhaus tragen und Ogbohs erklärende Wandabwicklung zum Thema studieren. Sehr wahrscheinlich verstehen sie dann, warum ihre sonst so reibungslose Visite in einer gemütlichen, schon aus den Schulbüchern vertrauten Bildwelt gestört wurde: Es lebe die Intervention.

PS.: Intervenire – dazwischentreten, eingreifen, sich einschalten. Und nicht zu vergessen: ausschalten.

At the Threshold / An der Schwelle

Intervention von Emeka Ogboh, Staatliche Kunstsammlungen Dresden Albertinum

Auch im GRASSI Museum für Völkerkunde zu Leipzig sind weitere Arbeiten aus der Serie zu sehen.

bis 26.06.2022

https://albertinum.skd.museum/ausstellungen/at-the-threshold-/-an-der-schwelle/">https://albertinum.skd.museum/ausstellungen/at-the-threshold-/-an-der-schwelle/

https://grassi-voelkerkunde.skd.museum/ausstellungen/teileroeffnung/emeka-ogboh/">https://grassi-voelkerkunde.skd.museum/ausstellungen/teileroeffnung/emeka-ogboh/