Im Schaukelwagen der Zeitgeschichte Eine kleine Auffrischung zu Architektur und Design
Ausgabe 2/2021
von Susanne Altmann
Manchmal fühlt es sich an, als wäre die Zeit vor etwa 30 Jahren stehengeblieben. Nein, nein, nicht wegen des Wahlkampfes, in dem die eine Großpartei kalterkriegsmäßig gegen die PDS, sorry: die LINKE wetterte oder die andere Kleinpartei für sich mit „Aus Liebe zur Freiheit“ warb – analog zu einem Wahlspruch der DSU (Huch, was war das noch gleich?) im März 1990: „Freiheit statt Sozialismus“. Zugegeben, den sinnigen Spruch hatte die CDU schon 1976 erfunden.
Die Zeit ist allerdings nicht stehengeblieben und je nach Gutdünken werden in der Epoche der Meinungsdiarrhoe derlei Begriffe mit beliebigen Inhalten aufgepimpt, gern unterfüttert von betagten Feindbildern. Deshalb soll hier angelegentlich auf eine andere Art von „Freiheit“ hingewiesen werden, nämlich die „Neustädter Freiheit“. Vor kurzem feierte diese Initiative aus geistigen und physischen Anrainer*innen den neuen Status „ihres“ Neustädter Markts als denkmalgeschütztes Objekt. Dem war ein längeres Ringen um die städtebauliche Neufassung dieses Platzes vorausgegangen, das wissen viele Leser*innen ja eh, und ein Wettbewerb, der den abstimmenden Bürger*innen nur die Wahl (Aha, auch hier!) zwischen diversen Varianten einer Neugestaltung ließ, nicht jedoch nach dem möglichen Wert des Ensembles fragte. Doch das wäre nunmehr geklärt.
Nicht so für eine Gruppierung mit dem ehrfurchtgebietenden Namen „Stadtbild Deutschland e.V.“ Anfang September rief diese zum digitalen Protest gegen die städtische Entscheidung zum Neustädter Markt auf: Nach seiner Zerstörung 1945 sei der Ort, zu DDR-Zeiten in einen „großen, zugigen Platz umgestaltet worden.“ Naja. Die Autorin kann sich noch sehr gut erinnern, dass das Areal bis mindestens Ende der 1970er ein urbaner Nichtort war und dass die autofreie Promenade „Straße der Befreiung“ mit ihren beiden, sich charmant öffnenden Enden wie eine frische Brise in der, nach 1945, eher brachial bebauten Innenstadt wirkte. Während die Prager Straße als Fußgängerzone zwar im Stadtmodell visionär wirkte, hatte sie es nie zu einem wirklichen Identifikationsort mit Aufenthaltsqualität geschafft. Zwischen Alberplatz und Augustusbrücke war dann indes, die Planungskräfte hatten dazugelernt, eine architektonische Situation entstanden, die sowohl in den seriellen Wohnbauten wie in den Freiflächen ein wohltuendes menschliches Maß aufwies. Der Ort, heute Hauptstaße, gewann in den späten 1980ern rasch an Flanierqualität, nicht zuletzt weil mit dem Kügelgenhaus und dem leicht subversiv angehauchten Volkskunstpodium auch recht ordentliche Veranstaltungsorte sowie Gastronomien, eine davon erotisch-üppig von Bildhauer Peter Makolies gestaltet, dazugekommen waren. In diesen Refugien konnte frau/man gelegentlich die Zumutungen des real existierenden Spätsozialismus vergessen. Die oben erwähnten Aktivist*innen der Stadtbildpflege Deutschland argumentieren jedoch in rührend unzeitgemäßer Weise abwertend, was zeigt, dass die (gar nicht mehr so brandaktuellen) Architekturdebatten zur so genannten Ostmoderne spurlos an ihnen vorübergegangen sind. Diese antiquierte Geisteshaltung hat auf der anderen Elbseite, rund um das wiedererrichte Gotteshaus unserer Lieben Frau, noch Früchte tragen können, zumindest in den Fassaden.
Der neugewonnene Status des Ensembles um das güldene Reiterstandbild hingegen bringt ein paar überregionale Traditionalisten derart in Rage, dass sie sogar nebulös behaupten: In Dresden würde „gemutmaßt, dass da wohl viel über die Besetzung der richtigen Pöstchen im Denkmalamt gelaufen sein soll.“ Keine Ahnung, was gemeint ist und kaum vorstellbar, dass in einer mentalen Zeitkapsel wie Dresden derlei Pöstchen so begehrenswert sein sollten. Während die „follower“ des allgemeindeutschen Stadtbilds mit Kommentaren wie „Aufmarschplatz der roten SED-Diktatur“, „Sie lernen es einfach nicht.“ oder „DDR-Bausünden“ reüssierten, organisierten die mittlerweile hier ansässigen Kunsträume ein feines Kulturfest, an dem sich die derart subversive „Neustädter Freiheit“ natürlich mit einer Führung beteiligte. Und zustimmend neigten sich die originalen Kugellampen, diese tapferen Überlebenden, dem Treiben zu ihren Füßen zu...
Vielleicht sollten sich die nostalgischen Stadtbildfeger, pardon, -pfleger einmal anschauen, wie die Debatten in anderen Sparten der DDR-Moderne so laufen. Für die bildende Kunst haben die letzten Jahre schon einige, längst fällige Revisionen gebracht. Und gerade eröffnet(e) im Lipsiusbau eine formidable Ausstellung zum Design in beiden deutschen Staaten während des Kalten Krieges. Dort steht übrigens auch die Qualität von Architekturen im Fokus; etwa am Exempel der industriellen Formsteine von Friedrich Kracht und Karl-Heinz Adler. Deren Brunnen auf dem Neustädter Markt, ob sprudelnd oder noch nicht, dürften über jeden kunsthistorischen Zweifel erhaben sein. Oder würde sich etwa irgendwer darüber aufregen, dass der geniale Schaukelwagen von Hans Brockhage & Erwin Andrä (1950 gestaltet an der Dresdener Akademie) schon vor Jahren im New Yorker Museum of Modern Art in der Schau „The Value of Good Design“ als globales Highlight präsentiert wurde? Oder dass von den Modulmöbeln eines Rudolf Horn, trotz aller Abwandlungen im Plattenbauwesen, die Marke der Deutschen Werkstätten Hellerau noch heute profitiert? All dies, und auch das zeigt die vom Vitra Design Museum und vom Kunstgewerbemuseum Dresden konzipierte Ausstellung, ging im Osten Deutschlands unter erschwerten, weil mit Formalismus- und Dekadenzvorwürfen belasteten Bedingungen vor sich. Die wirklich coole Durchmischung der beiden deutschen Designs lässt denn auch vergessen, dass im Katalog nach über drei Jahrzehnten (Gähn!) noch einmal die Augenhöhe dieser Produkte betont werden muss und dass die heute kultigen, aber damals gar nicht so beliebten, DDR-Plasteprodukte vom orangefarbenen Salz-Pfeffer-Senf-Accessoire bis zum Huhneierbecher, geradezu verklärt werden.
Hier wie überall im Rahmen der Modernismusforschung muss gut aufgepasst werden, dass sich -auch gut gemeinte- zeitgeschichtliche Betrachtungen nicht über nötige ästhetische und Formanalysen legen. Das freilich ist ein Schritt, den die Methusalems der Baukunstpropaganda vielleicht gar nicht mehr ohne Krückstock schaffen – was beileibe keine Altersfrage ist. Und jetzt muss sich die erschöpfte Autorin erst einmal in ihr geliebtes Senftenberger Ei zurückziehen. In diesen spacigen Klappsessel, der in der Zusammenarbeit einer BRD-Firma, des ungarischen Gestalters Peter Ghyczy und einem DDR-Kunststoffproduzenten realisiert wurde. Soviel deutschdeutsche Freiheit im Sozialismus klingt doch gut, oder?
Ausstellung
„Deutsches Design 1949-1989. Zwei Länder, eine Geschichte“
Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kunstgewerbemuseum im Lipsiusbau
15.10.2021 – 20.02.2022
https://lipsiusbau.skd.museum/ausstellungen/deutsches-design-1949-1989/">https://lipsiusbau.skd.museum/ausstellungen/deutsches-design-1949-1989/