Fahrradtour zur Sternstunde
Ausgabe 4/2022
Die Schenkung Sammlung Hoffmann erklärt Ortlosigkeit zum Konzept
von Susanne Altmann
Vor dreißig Jahren hatte Dresden einmal die Gelegenheit, in den Olymp der Gegenwartskunst aufzusteigen. Das war, als das Kölner Sammlerpaar Rolf und Erika Hoffmann in die Stadt kam und, begeistert von den neuen Horizonten nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, ein spektakuläres Angebot machte: Nicht nur wollten sie ihre Kunstsammlung in die Elbestadt bringen, sondern sie hatten zugleich den Entwurf für eine Kunsthalle im Gepäck. Der US-Amerikaner Frank Stella ersann ein spielerisches Pavillonsystem, das die Architektur des nahen Zwingers und von barocken Gartenanlagen in die Gegenwart transportieren sollte. Von allen Seiten kam Zuspruch, die internationale Kunstszene blickte nach Dresden und dann scheiterte das Projekt an kleinlichen, politisch forcierten Geschmacksverdikten. Eine gewaltige Enttäuschung muss das auch für die Hoffmanns gewesen sein und eigentlich ein Grund, nie wieder einen Fuß an den Ort einer solchen Niederlage zu setzen. Doch es sollte alles ganz anders kommen. Bereits als Martin Roth (1955-2017), damals Generaldirektor der Kunstsammlungen Dresden, Erika Hoffmann-Könige – ihr Mann Rolf verstarb 2001 – um 2008 bat, ihre Sammlung hier zu zeigen, zögerte sie nicht.
Die Ausstellung „Mit dem Fahrrad zur Milchstraße“ im Lipsiusbau, die 2009 stattfand, war ein deshalb Heimspiel, mit Umwegen. Damals gab sie, als Kuratorin zusammen mit Mathias Wagner, Stellas Modellen der fiktiven Kunsthalle Dresden noch einen prominenten Auftritt, vielleicht als endgültigem Abschied von der ehrgeizigen Vision. Für viele Dresdner*innen war dieser Anblick noch mit einer gehörigen Portion Phantomschmerz verbunden, zumal sich eine derart repräsentative Institution rein für Gegenwartskunst nicht abzeichnete. Es dauerte noch einmal etwa zehn Jahre, Verhandlungsgeschick und Großzügigkeit inklusive, bis das Unglaubliche geschah. Erika Hoffmann-Könige schenkte ihre bedeutende Sammlung, in der Zwischenzeit weiter angewachsen, an die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Das war nicht nur wegen der unangenehmen Vorgeschichte spektakulär, sondern auch weil derlei massive Schenkungen im Osten Deutschlands nicht gerade der Regelfall sind. Doch die Fahrradtour zur Milchstraße gipfelte tatsächlich in einer Sternstunde. Einmal mehr, als dass die Schenkerin, ganz anders als so viele ihrer Sammlerkollegen, nicht auf einem eigenen Museum bestand. Und vielleicht hat sie damit die Zeichen der Zeit viel besser verstanden als die Anhänger*innen eines traditionellen Museumskonzepts, die auch im digitalen Zeitalter noch auf die Attraktivität von neuen, örtlich fixierten Kunsttempeln setzen. Abgesehen von der immensen Ressourcenverschwendung, die ein solcher Bau mit sich bringen würde, haben sich mittlerweile demokratische Vermittlungskonzepte etabliert. Die Staatlichen Kunstsammlungen sind hier vorbildhaft unterwegs, mit offenen, tagesaktuell gestimmten Ausstellungsformaten im Japanischen Palais, im Lichthof des Albertinums oder auch im Pillnitzer Kunstgewerbemuseum.
Insofern können wir die „Ortlosigkeit“ der Schenkung Sammlung Hoffmann als pionierhaften Akt verstehen. Nun gehört ja ein gesunder Leihverkehr zum Selbstverständnis einer modernen Kunstsammlung, die Schenkung Hoffmann freilich hat das Reisen zur Programmatik erklärt. Derzeit erleben wir, im Rahmen des Großprojekts „Nordost Südwest“, eine so noch nie dagewesene Präsenz der Hoffmannschen Exponate in der ganzen Stadt. Hier dürfen wir den abgenutzten Begriff der Synergie rückhaltlos anwenden. Denn wenn Werke von A. K. Dolven im Zentralwerk und in der Galerie Ursula Walter, von Félix González-Torres im Kulturforum riesa efau, von Tony Oursler im Kunsthaus Raskolnikow auftauchen, dann bedeutet das nicht nur mehr Sichtbarkeit für die jeweiligen unabhängigen Kunsträume, sondern auch die Überführung von oft als elitär verstandener Konzeptkunst in ein zugängliches Format, außerhalb von musealer Überwältigung. Doch im Grunde hat die Umsetzung der nomadischen Strategie schon viel früher begonnen: Seit 2020 laufen die so genannten „Ortsgespräche“ der Sammlung Hoffmann in ganz Sachsen. Der Bestand soll für „Partner*innen im so genannten ländlichen Raum nutzbar werden. Die Initiative ist von der Idee geleitet, dass zeitgenössische Kunst in Bewegung bleiben will und ihre Kraft als Impulsgeberin für Gedanken und Auseinandersetzungen besonders im lebendigen Dialog mit anderen Werken, Positionen und Ansätzen und in der andauernden Neubefragung entfaltet.“ So formuliert es die offizielle Verlautbarung etwas sperrig.
Vor Ort sieht das gleich viel lebendiger aus, so etwa als Pipilotti Rists vibrierende Installation „Emily, I‘m Gonna Write Your Name High on the Silverscreen“ (1996/98) im Kunstverein Zwickau gastierte – flankiert von Arbeiten sächsischer Künstler*innen wie Harry Hachmeister, Oliver Kossack oder Louise Walleneit. Im Kunstverein Meißen befand sich Isa Genzkens „Weltempfänger“ im Ortsgespräch mit Werken von Svea Duwe, Antje Guske, Wiebke Herrmann, André Tempel und Silvio Zesch. Die Liste ist lang, Ausstellungsorte in Kirschau, Kaisitz, Plauen, Annaberg-Buchholtz reihen sich in den Dialog. Auf kluge Weise hebelt dieses Vorgehen auch die ermüdende Exklusivität des Kunstbetriebs aus, wo unsichtbare Barrieren zwischen Künstler*innen „von Rang“ und weniger sichtbaren Kolleg*innen zum guten Ton gehören. Also auch in dieser Hinsicht: Chapeau und Danke, Sammlung Hoffmann!